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201

net sich den Menschen, sie sind dadurch in Gott sowohl wie unter-

einander verbunden

1

.

Die Unmittelbarkeit der Gottesberührung, welche in der Ab-

geschiedenheit erreicht wird, ist der Durchbruch des (ekstatischen)

Bewußtseins zu Gott, kein Individualismus noch Subjektivismus

des gesellschaftlichen Lebens. Vielmehr ist die gemeinsame Ver-

ankerung aller Seelen in Gott der Grund dafür, daß die Seelen

aufeinander h i n g e o r d n e t sind, daß sie daher nur in Ge-

meinschaft, im gegenseitigen Aneinander-Werden leben und be-

stehen können. Diese Gedanken entwickelte freilich Eckehart nicht

ausdrücklich. Sie liegen aber in seiner Lehre, daß s i c h G o t t

a l l e n M e n s c h e n „ g e m e i n e “ , bereits vor; wenn auch

keimhaft, so doch klar und unzweideutig angelegt. In Eckeharts

Lehre liegt auch, was wir den V o r r a n g der Abgeschiedenheit

vor der Gezweiung nennen müssen: Abgeschiedenheit ist (begriff-

lich, dem Wesen nach) vor Gezweiung oder Gemeinschaft

2

!

Daß sodann die menschliche Gemeinschaft einen Gliederbau,

einen S t u f e n b a u darstelle, führt Eckehart ebenfalls nirgends

eigens aus, weil es ihm, wie seiner ganzen Zeit, an Anlaß dazu

fehlte. Doch läge ihm eine solche Lehre von der Gemeinschaft

nahe, da er sowohl die ständische Gliederung seiner Zeit wie die

Ungleichheit der Menschen, die Verschiedenheit der Begabungen

bejaht

3

; endlich schon in der Naturphilosophie den allgemeinen

Grundsatz, der einen Stufenbau und Gliederbau verlangt, aus-

spricht:

. . ein ieglîchiu crêatûre suochet ir stat hie, alse sî got geordent hât.

Das gilt auch für die Natur, die wir früher als Stufenbau kennen-

lernten:

1

Im Sinne unserer Vorranglehre würde es heißen: Abgeschiedenheit ist vor

Gezweiung; Mit-Rückverbundenheit ist vor Mit-Ausgliederung.

2

Vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 184 [4. Aufl.,

Graz 1969, S. 227] und mein Buch: Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 257 ff.

[3. Aufl., Graz 1969, S. 236 ff.].

3

Über die Verschiedenheit der Begabungen und Gottnähe vgl. z. B. Otto

Karrer und Herma Piesch: Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift vom Jahre

1326, Einleitungen, Übersetzungen und Anmerkungen, Erfurt 1927, S. 95.

Pf. 115, 34.

4

Pf. 173, 9: Jedes Geschöpf sucht hier auf Erden seinen von Gott bestimm-

ten Platz.