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u n d d i e F r e u d e a n i h r . Schon in seiner frühen Zeit, in
den „Reden der Unterscheidung“, die noch aus dem 13. Jahrhun-
dert stammen, verfocht Eckehart dieselbe Ansicht. Er sagt dort:
„Ich wart gefrâget: etlîche liute zügen sich sêre von den liuten unde wêren
gerne alleine unt dar an lêge ir fride, unde daz sie wêren in der kirchen, obe
daz daz beste wre? Dô sprach ich: nein! unde merke, war umbe. Weme reht ist,
in der wârheit, dem ist an allen steten unde bî allen liuten reht; weme aber
unreht ist, dem ist unreht in allen steten unde bî allen liuten. Weme aber reht
ist, der hat got in der wârheit bî im. Wer aber got reht in der wârheit hât, der
hat in in allen steten und in der strâze unde bî allen liuten als wol als in der
kirchen oder in der einoede oder in der zellen: ob er in anders reht hât und
ob er in alleine hât, den menschen enmac nieman gehindern. War umbe? Dâ
hât er alleine got, unde wer denne in allen dingen luter got meinet, der mensche
treit got in allen sînen werken und in allen steten, und alles des menschen
werc diu würket got lûterlîchen, wan wer daz werc sachet, des ist daz werc
eigenlîcher unde wêrlîcher denne des, der dâ würket daz werc.“
1
Mit wem es recht steht, wahrlich, dem ist’s an allen Stätten und bei allen
Leuten recht. Mit wem es aber unrecht steht, für den ist’s an allen Stätten und
bei allen Leuten nicht recht. Wer aber auf der rechten Seite ist, der hat Gott in
Wahrheit bei sich. Wer aber Gott recht in der Wahrheit hat, der hat ihn an
allen Stätten und auf der Straße und bei allen Leuten ebenso gut wie in der
Kirche oder in der Einöde oder in der Zelle. Wenn er ihn nur recht hat und
ihn allein, dann kann diesen Menschen niemand behindern.
Warum? Weil er (überall) da nur Gott hat (festhält); und wer bei allen
Dingen nur Gott bedenkt, der Mensch trägt Gott in allen seinen Werken und
an allen Stätten; und alle Werke dieses Menschen wirkt allein Gott, denn wer
das Werk verursacht, dem gehört das Werk eigentlicher und wahrhaftiger zu
als dem, der da das Werk verrichtet.
Eckehart gibt hier auch eine kleine Anleitung:
„Merke, wie du dinen got meinest. So du bist in der kirchen oder in der zelle,
daz s e l b e g e m ü e t e b e h a l t unde trag daz under die menige und in die
unruowe und in die unglîcheit.“
2
Der Gedanke, daß im Tun unsere Kräfte erst zur Entfaltung
kommen, wird auch im folgenden angedeutet:
„Der mensche sol niht ... im lâzen genüegen mit einem gedâhten gote, wenne
der gedank vergât, sô vergât ouch der got: mêr: man sol haben einen ge-
wesenden got, der verre ist obe den gedenken des menschen .. . Der got vergêt
niht, der mensche kêre denne willeclîche abe. Der got also in wesen hât, der
1
Pf. 547, 14: Ich ward gefragt: manche Leute zögen sich streng von den
Menschen zurück und wären gerne alleine, und daran läge ihr Friede und (auch
daran), daß sie in der Kirche wären, — ob dies das Beste wäre? Da sagte ich:
nein! Und gib acht, warum.
2
Pf. 548, 2: Gib acht, wie du deinen Gott meinst! Wenn du in der Kirche
bist oder in der Zelle, b e h a l t e d a s s e l b e G e m ü t und trage es unter die
Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheit (Unausgeglichenheit, Gegen-
satz von Gleichmut etwa) . ..