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weil sie an das G o t t g e g r ü n d e t e aller Tugend anknüpft
und den (auch platonischen) Grundsatz in ihrem Orte verwirklicht,
Tugend sei die „Verähnlichung mit Gott“; und weil sie zugleich
das G e s e l l s c h a f t l i c h e aller Sittlichkeit, neuzeitlich gesagt,
den V o r r a n g d e s S o z i a l e t h i s c h e n v o r d e m I n d i -
v i d u a l e t h i s c h e n in sich schließt! Denn:
„W a z ist g u o t ? Daz s i c h g e m e i n e t.“
1
Die Mitteilsamkeit, wie Benz communicabilitas treffend über-
setzte, ist demnach eine Tugend, die zugleich an den G o t t e s -
b e g r i f f u n d a n d e n G e m e i n s c h a f t s b e g r i f f anknüpft!
Kehren wir zum Grundsätzlichen zurück.
Alles Gute wird um Gott, daher „sonder warumbe“ getan, das
heißt nicht um des Lohnes, des äußeren Erfolges willen, sondern
um des Guten willen. Wie bei K a n t — „Es ist überall nichts in
der Welt, was wahrhaft gut zu nennen wäre, als allein der gute
Wille“
2
— entscheidet auch bei Meister Eckehart allein der gute
Wille. In seinem lateinischen Kommentar des Johannes-Evangeliums
heißt es:
„So oft jemand etwas Gutes tut um des Gutes-Tun willen, das heißt nur des-
halb, weil dies zu tun gut ist, ohne eine Nebenabsicht, sondern um seiner selbst
willen, also zu keinem Nutzen noch Vergnügen — denn das Vergnügen folgt
auf das Wirken —, dann reißt uns das Gutes-Tun um seinetwillen und aus
eigener Kraft mit fort .. . Das gänzlich Gute nämlich ist von dem nützlich und
erfreulich Guten zu unterscheiden. Es reißt mit eigener Kraft fort, nicht mit der
Kraft des nützlich oder erfreulich Guten.“
3
Was um einen Lohn, um ein Warum gewirkt wird, ist tot:
„Lebendig ist das, was von innen her . . . bewegt wird, aus sich selbst heraus
oder eben von innen her. Tot dagegen heißt alles, was ... von außen her be-
wegt wird. Ein Werk also ist tot, wenn etwas, was außer ihm liegt, als Ur-
sprung oder als Endzweck auf dies Werk hinzielt.“
4
Die Handlung und das äußere Werk werden von der Güte, aus der
heraus sie vollzogen werden, gut, nicht umgekehrt:
„Das ist ein Akt der Tugend, der seinen Träger gut macht, und der auch
dessen äußeres Werk gut macht.“
5
1
Pf. 269, 21: Was ist g u t ? D a s , w a s s i c h v e r g e m e i n s a m t .
2
Eingangsworte der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“.
3
Deutsch von Konrad Weiß, in: Ilse Roloff: Meister Eckeharts Schriften zur
Gesellschaftsphilosophie, Jena 1934, S. 309 (= Die Herdflamme, Bd 20).
4
Deutsch von Konrad Weiß, in: Ilse Roloff: Meister Eckeharts Schriften zur
Gesellschaftsphilosophie, Jena 1934, S. 311 (= Die Herdflamme, Bd 20).
5
Deutsch von Konrad Weiß, in: Ilse Roloff: Meister Eckeharts Schriften zur
Gesellschaftsphilosophie, Jena 1934, S. 311 (= Die Herdflamme, Bd 20).