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212

WILLE . .. denne sprichet diu sêle ,herre, sprich in mich daz dîn êwiger wille

sî“.“

1

Wie sich zeigt, behaupten auch in der Besonderung der Tugenden

Sinnlichkeit und Denken bei Eckehart ihre Stellung neben der auf

Abgeschiedenheit zielenden Geisteshaltung. Das Tätige neben das

Schauende zu stellen, darauf ist Eckehart in jedem Zusammenhange

der Fragen und Denkaufgaben seiner Geistes- und Sittenlehre be-

dacht.

Eine feststehende, überall gleich durchgeführte Einteilung der

Tugenden dürfte man bei Meister Eckehart schwerlich herausfinden

können. Wohl spielen die in der Schrift über die Abgeschiedenheit

genannten: M i n n e , D e m u t , B a r m h e r z i g k e i t eine

besondere Rolle; aber daneben treten auch andere Einteilungen auf.

So wenn Minne die Urform aller Tugenden, Hochmut die Urform

aller Laster genannt wird:

„In jeder Sünde ist Hochmut.“

2

Eckeharts bedeutsamste Einteilung der Tugenden, die aber, wie

es scheint, nicht weitergeführt wurde, scheint mir die in einer latei-

nischen Predigt vorgetragene

3

zu sein, in welcher der Meister er-

klärt: Wer sich zur Gnade bereiten will, müsse drei Dinge haben:

D e m u t des Geistes; B e s t ä n d i g k e i t des Herzens und

M i t t e i l s a m k e i t hinsichtlich des (von Gott) Empfangenen,

„communicabilitas receptorum“.

Diese Tugend der M i t t e i l s a m k e i t , die meines Wissens

bisher überhaupt nicht beachtet wurde, ist deshalb so bedeutsam,

1

Pf. 52, 4: Nun vernehmet die Lehre der Tugend. Tugendhaftes Leben hängt

an drei Merkmalen des Willens. Das Gemeinsame (der drei, die Einheit der drei)

ist dies: den Willen aufgeben in Gott; denn es muß sein, daß man ausführe, was

man da (im tugendhaften Leben) erkennt, sei es ein Ablegen oder ein Auf-

nehmen. Dementsprechend ist dreierlei Wille. Der eine ist ein „sinnlicher“

Wille, der zweite ein „vernunfterhellter“ Wille, der dritte ein „ewiger“ Wille.

Der sinnliche Wille verlangt Belehrung, verlangt, daß man auf wahrhafte Lehre

höre; der vernunfterhellte Wille besteht darin, daß man die Füße setze in alle

W e r k e Jesu Christi und der Heiligen (ihnen irdisch Nachfolge leiste), das

heißt, daß man W o r t , W a n d e l u n d „ G e w e r b e “ gleichmäßig aus-

richte hin auf das Nächste (das heißt den b e s t i m m t e n Anforderungen der

irdischen Vernunft entsprechend); wenn dies erfüllt ist, so gibt Gott ein weiteres

in der Seele Grund: das ist ein ewiger Wille ... Dann sagt die Seele: ,Herr,

sprich in mich, was dein ewiger Wille sei!“

2

B 192.

3

B 116 f.