Table of Contents Table of Contents
Previous Page  7971 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7971 / 9133 Next Page
Page Background

219

mehreren Zusammenhängen berührten Begriff der G o t t -

f ö r m i g k e i t oder Gottähnlichkeit der Seele zugrunde legen.

Jede Tugend ist demnach nur insoferne Tugend, als sie die Seele

gottförmig macht; wir können auch sagen, als sie eine E n t -

s p r e c h u n g v o n E i g e n s c h a f t e n G o t t e s in der Seele

hervorruft oder zur Grundlage hat. So sagt Eckehart einmal ge-

radezu:

„Barmherzigkeit verleiht der Seele den Schmuck der Gottförmigkeit.“

1

Das ist in weiterem Sinne allen Mystikern gemeinsam, im be-

sonderen ist diese Lehre p l a t o n i s c h zu nennen. Denn Platon

lehrt nachdrücklich das Streben nach Gottähnlichkeit

2

. Auch der in

der Scholastik bekannte Satz Platons: „Gott ist das Maß der Dinge“

3

ist nichts anderes als eine Lehre der Vergottung und Gottförmig-

keit des Menschen als seines höchsten Zieles. Eckehart selbst macht

diesen Satz zu dem seinen:

„Gott ist das Maß aller Dinge sowohl im Sein als auch ganz allgemein in jeder

(Art von) Vollkommenheit.“

4

Auf die Sittenlehre angewandt, gilt daher als allgemeinster

Grundsatz Eckeharts:

„.. . daß wir die Vollkommenheit vergebens außerhalb der zeitlichen Güter

[das heißt bei Gott] suchen, solange wir in i h r e r G e g e n w a r t

5

. . . [Gott]

unähnlich sind und [von ihnen] bestimmt werden .. . [Denn] solange ich mich . .

von den gegenwärtigen Gütern bestimmen lasse, solange werde ich. . . auch wei-

terhin [zeitliche] Güter erstreben, die ich noch nicht habe . . ,“

6

.

Und

„Der Trost des Geistes wird niemandem gegeben, der anderen Trost hat [also

zeitlichen Lohn will].“

7

Wir sehen hier Eckehart überall auf die Abgeschiedenheit hin-

zielen, welche ja den Weg zur sittlichen Vollkommenheit, die zu-

gleich eine Vollkommenheit des Seins ist, bezeichnet.

Denn dem Wesen der Seele entspricht es,

„... nicht durch ein Geschaffenes, sondern nur durch Gott allein sich formen

zu lassen.“

8

1

B 122.

2

Platon: Staat 613 b; Gesetze 716 c d; Theaitetos 176 b.

3

Platon: Gesetze 716 c.

4

B 132.

5

also im tätigen Leben.

6

B 152 f.

7

B 140.

8

B 143.