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Vollkommenheit ist zugleich Seligkeit:
„Der Zustand der Seligkeit ist durch die überragende Erhabenheit Gottes be-
stimmt, der den Seligen innewohnt.“
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Auch dies ist ontologisch aufzufassen:
[Der Überfluß der Seligkeit in der mystischen Schau] „strömt von den höheren
Kräften in die niederen“
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.
Mit alle dem ist der Übergang zur Lehre von der Unvollkommen-
heit und dem Bösen von selbst gegeben. Denn überall, wo die Rich-
tung auf das Vollkommene nicht genommen wird, ist der Anfangs-
zustand das Unvollkommene, das Böse.
B.
Das B ö s e
Eine ausgebildete Lehre vom Bösen fand ich bei Meister Ecke-
hart nicht, wie ja auch die schon früher dargestellte Lehre vom
Abfall nicht als ein durchgebildeter Lehrbegriff aufgefaßt werden
kann.
Dennoch fehlt es nicht an Äußerungen, welche uns einen Einblick
in seine von der damaligen Aristotelik übernommenen Gedanken
darüber gewähren, so namentlich in seinen lateinischen Predigten.
Wir gehen zunächst von allgemeineren Bestimmungen aus:
„Die Liebe zu sich selbst und zu einem Geschöpfe [dieses getrennt von Gott
genommen] ist ganz allgemein die Wurzel und Ursache alles Bösen“
3
.
Der Sinn muß sein: die Selbstliebe führt von Gott ab, ist
s e i n s m i n d e r n d .
Mit Recht kann man das als allgemein scholastisch, thomistisch
auffassen. Aber nach dem Begriffszusammenhange der Lehren
Eckeharts liegt noch mehr darin. Wir sehen hier wieder einen Zu-
sammenhang mit der N a t u r p h i l o s o p h i e , der zufolge die
Kreaturen und auch die Seele ihre Eigenschaften nur in dem Drän-
gen und Eilen zu Gott entfalten, nur dadurch ihre Wirklichkeit
erlangen:
W e n n d a h e r d i e S e e l e , s t a t t z u G o t t z u s t r e -
b e n , s i c h i h r s e l b s t z u k e h r t (oder einem Geschöpfe
für sich genommen), so entfaltet sie sich nicht, sondern im Gegen-
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