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ist.“
1
Und: „...deshalb ist nach Augustinus jede Veränderlichkeit in gewissem
Sinne ein Tod. [Eckehart fügt hinzu, daß sie der wahre und einzige Tod ist:
vera et sola mors est.]“
2
Diese grundsätzlich o n t o l o g i s c h e Bestimmung des We-
sens des Bösen, der Sünde und des Todes wird nun von Eckehart
auch auf das L e i d e n übertragen:
„Kein Leiden, nichts Widriges oder Widerwärtiges würde uns betrüben, wenn
ihm nicht ein ,Nichts' beigefügt wäre. Daß also der Tod. .. das Allertraurigste
und die Ursache aller Traurigkeit ist, erhellt aus seinem Gegensatze.“
3
Hier lernen wir Eckehart als einen durchdringenden Denker
kennen. Er überträgt mit schärfster Folgestrenge den Einbruch des
Nicht-Seins von dem allgemeinen Begriffe der Sünde auf die be-
sonderen Erscheinungen des Todes und des Leidens.
Dem entspricht umgekehrt die Lehre, daß alles Leben, weil es
wahres Sein ist, unmittelbar von Gott in die Seele fließe, gemäß
dem schon früher angeführten Worte: „Was ist mein Leben? Gottes
Wesen, das ist mein Leben.“
Dieser Lehre entspricht ferner die andere, daß in der Hölle das
Nichts brenne!
Trotz Abbruch an Sein infolge der Sünde können daher auch die
in der Hölle sind, ihr L e b e n nicht verlieren:
„Die in der helle sint in êwiger pîne, die enwölten niht ir leben verliesen. ..
wan ir leben ist sô edel daz ez sunder allez mitel vliuzet von gote in die sêle.
Dar umbe wan ez von gote alsô vliuzet sunder mitel, dar umbe wellent sie
leben.“
4
„.. . , nochdenne die verdüemeten in der helle die müezen belîben ûf etwaz
sînes wesennes.“
5
Diese Lehre, welche mehr als prunkrednerische Wendung oder
Übersteigerung oder Sonderbarkeit Eckeharts genommen wird, ist
in Wahrheit tief in seiner Auffassung vom Bösen und vom Leiden
als Seinsminderung gegründet. Wenn Leiden auf Seinsminderung
beruht, dann — so kann man Eckeharts Lehre zusammenfassen —
1
B 164.
2
B 164.
3
B 165.
4
Q I 105, 12: Die in der Hölle sind in ewiger Pein, die wollen ihr Leben
nicht verloren geben ... denn ihr Leben ist so edel, daß es ohne jedes Mittel
(oder ohne jede Mittelung) von Gott in die Seele fließt. Darum, weil es so gar
ohne Mittel von Gott in die Seele fließt, darum wollen sie ihr Leben behalten.
5
Pf. 169, 19: Sogar die Verdammten in der Hölle müssen auf irgendeine
Weise an seinem (göttlichen) Wesen weiter teilhaben.