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Zur Erklärung des Leidens findet Eckehart auch zwei seiner
schönsten Bilder. In einer lateinischen Predigt sagt er, die Vielheit
der Leiden sei kein Hindernis,
„. .. vielmehr trägt die Seele umso leichter den Sieg über sie davon . . . Er-
zähle [merkt Ecke'nart für sich vor] die Anekdote Solins vom Hunde, der es
verächtlich fand, mit einem Schwein oder Bären zu kämpfen, aber den Löwen
besiegte.“
1
Das will sagen, das g r o ß e Leid sei zu besiegen. Dies ist ge-
wiß nicht als Schönrednerei zu verstehen, vielmehr meint Eckehart,
der Aufschwung der Seele erfolge leichter aus einem das Innerste des
Menschen aufrührenden Leiden.
Entsprechend lehrt Eckehart auch ganz allgemein in genialen
Worten:
„. . . w e r r e t i u c h n i h t m i t k l e i n e n d i n g e n , d e n n e i r s î t z u o
k l e i n e m n i h t b e s c h a f f e n.“
2
Dies alles ist wahrscheinlich auch gegen unnütze Askese und
Kasteiung und falsche Heiligtümer gerichtet. Alles Gesagte ist wie-
der vom Ausblick auf die innere Gotteserfahrung her, als der vor-
nehmsten Aufgabe des Menschen, zu verstehen.
Ein anderes Bild, mit dem wir diese Untersuchung schließen, ist
von dem Beispiele, das Christus im Leiden gab, genommen. Diese
Welt vom Unvollkommenen, Bösen, dem Nichts zu reinigen, ist
eine Aufgabe, der sich Gott selbst in der Person Christi unterzog:
„Unde diz sol unser arbeit ringe machen, wan der guote ritter klaget sîner
wunden niht, sô er den künig an siht, der mit ime verwundet ist.“
3
D.
G o t t l e i d e t m i t d e n M e n s c h e n
Hiermit stehen wir schon bei dem kühnen Gedanken Eckeharts,
daß Gott mit dem Menschen leide! Im „Buche der göttlichen Trö-
stung“, das Eckehart als Prior von Erfurt noch im 13. Jahrhundert
schrieb, sagt er:
„. . ., daz got .. . mit uns lîdet selbe. Wêrlich, der wârheit bekennet, der weiz,
daz ich wâr spriche. Got der lîdet mit dem menschen, jâ unglîch mê nâch sîner
wîse, denne der [Mensch, der] da lîdet,... Nû sprich ich: wil denne got selbe
1
B 107.
2
Pf. 602, 27: Verstrickt euch nicht in Kleinigkeiten, denn ihr seid nicht zu
Kleinem geschaffen.
3
Pf. 184, 11: Und dies soll unsere Beschwer erleichtern: Der gute Ritter
klagt nicht über seine Wunden, wenn er den König ansieht, der mit ihm ver-
wundet ist.