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lîden, sô sol ich gar billîchen lîden; wan ist mir reht, sô wil ich, daz got wil . . .

Ouch sprich ich sicherlîchen, daz got sô gerne mit uns unt dur uns lîdet, so wir

alleine dur got lîden, daz er l î d e t s u n d e r l î d e n n e . L î d e n i s t i m

s o w u n n e c l i c h , d a z l î d e n i s t i m n i h t l î d e n . Unt dar umbe, wêre

uns reht, sô wêre ouch uns lîden niht lîden, ez wêre uns ein wunne unt trôst.“

1

Um diese Worte zu verstehen, genügt es nicht, einfach auf den

aristotelisch-scholastischen Lehrbegriff der Sünde und des Leidens

als einer Seinsminderung zurückzugehen. Auch ein anderer Aus-

weg, alles Obige einfach auf die Leiden Christi zu beziehen, ist

nicht statthaft, da sich im Zusammenhange dieser Ausführungen

eine solche Bezugnahme nicht findet und Eckehart sich überhaupt

nicht mit der bloßen Tatsache des Leidens Christi zufrieden gäbe,

sondern sie erklären würde. Verfehlt wäre es ferner, an dem Ge-

danken Eckeharts als einer bloßen Überschwenglichkeit vorüber-

zugehen. Denn immer, wo wir einer solchen zu begegnen schienen,

fanden wir sie tief in Eckeharts Lehrbegriffen verankert. Den

Schlüssel finden wir in Eckeharts Lehre, die allerdings der gesamten

mystischen und christlichen Gotteslehre gemein ist, daß in Gott

nichts Fremdes kommen könne, alles in ihm nur göttlich sei.

„In Gott ist keine Kreatur, in Gott ist nichts als Gott.“

2

„Gottes Natur ist es, immer und allein im Lautersten zu sein.“

3

Hierzu ist ein anderer grundsätzlicher Gedanke Eckeharts fest-

zuhalten, wonach die Hinkehr zu Gott und die innere Einkehr in

Gott — diese nach Art der mystischen Erfahrung gedacht — alles

Böse, alle Sünde, a l l e S e i n s m i n d e r u n g aufhebe:

„Neuheit und Leben in Gott tilgt die Wurzel alles Bösen.“

4

Nehmen wir den ersten Satz, daß in Gott alles göttlich sei, so

folgt daraus, daß die Sünde und die darin gelegene Seinsminderung

1

Pf. 442, 4: . . . daß Gott selber mit uns leidet. Wahrlich, wer Wahrheit er-

kennt, der weiß, daß ich wahr spreche. Gott leidet mit dem Menschen, ja er

leidet auf seine (göttliche) Weise ungleich mehr als der Mensch, der da leidet. . .

Nun sage ich: Will denn Gott selber leiden, so soll ich gar billigerweise auch

leiden; denn, bin ich auf dem richtigen Wege, dann will ich, was Gott will. . .

Auch sage ich und halte für gewiß, daß Gott so gern mit uns und für uns leidet,

wenn wir allein um Gottes willen leiden, daß er l e i d e t o h n e L e i d e n .

L e i d e n i s t i h m s o w o n n i g l i c h , d a ß L e i d e n f ü r i h n n i c h t

L e i d e n i s t . Und darum, wäre es recht um uns bestellt, so wäre auch für

uns Leiden nicht Leiden; es wäre uns Wonne und Trost.

2

B 112.

3

B 193.

4

B 145.