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sein Sein und seine Gottheit hängen daran, daß er in der Seele wirken muß. Ge-

segnet, gesegnet sei Gott! Da Gott in der Seele wirkt, darum liebt er (auch)

sein Werk. Das Werk ist die Liebe und die Liebe ist Gott. Gott liebt sich selbst

und seine Natur, sein Sein und seine Gottheit. In der Liebe aber, in der Gott

sich liebt, in der liebt er auch alle Kreaturen. In der Liebe, in der sich Gott

(selbst) liebt, darin liebt er alle Kreaturen, (aber) nicht als Kreaturen, (sondern)

mehr: die Kreaturen als Gott. In der Liebe, in der sich Gott liebt, in der liebt

er alles.

Nun will ich von etwas sprechen, von dem ich noch nie gesprochen habe.

Gott genießt sich selbst. In dem Genuß, in dem sich Gott genießt, darin genießt

er alle Kreaturen. Mit dem Genuß, mit dem sich Gott genießt, mit dem genießt

er alle Kreaturen, (aber) nicht als Kreaturen, (sondern) mehr: die Kreaturen als

Gott. In dem Genuß, in dem sich Gott genießt, in dem genießt er alles. Nun

gebt acht! Alle Kreaturen richten ihren Lauf auf die höchste Vollkommenheit.

Nun bitte ich euch bei der ewigen Wahrheit und bei der immerwährenden

Wahrheit und bei meiner Seele, höret! Nun will ich aber von etwas sprechen,

von dem ich noch nie gesprochen habe: Gott und die Gottheit sind so vonein-

ander unterschieden wie der Himmel von der Erde. Ich spreche noch mehr: der

innere und der äußere Mensch sind so weit voneinander entfernt wie der Him-

mel von der Erde. Gott steht (noch) viel tausend Meilen darüber. Gott wird und

wird zunichte. Nun komme ich wieder auf meine Rede zurück: Gott genießt sich

selbst in allen Dingen. Die Sonne gießt ihren hellen Schein aus auf alle Kreaturen,

und worauf die Sonne ihren Schein wirft, das zieht sie in sich, und sie verliert

doch nicht ihre Leuchtkraft. Alle Kreaturen entäußern sich ihres Lebens um ihres

Seins willen. Alle Kreaturen tragen sich in meine Vernunft (in meinen erken-

nenden Geist), damit sie in mir vernünftig sind (recht erkannt sind). Ich alleine

bereite alle Kreaturen wieder auf Gott vor.

Tragt Sorge für das, was ihr alle tut. Nun komme ich wieder auf meinen in-

neren und auf meinen äußeren Menschen (zu sprechen). Ich sehe die Lilien auf

dem Felde an und ihren hellen Glanz, ihre Farbe und alle ihre Blätter. Aber

ihren Duft, den sehe ich nicht. Warum? Da der Duft in mir ist. Aber was ich

spreche, das ist in mir und ich spreche es aus mir (heraus). Alle Kreaturen, die

schmecken (nur) dem äußeren Menschen als Kreaturen, wie Wein, Brot und

Fleisch. Aber meinem inneren Menschen schmeckt nichts als Kreatur, mehr: als

Gabe Gottes. Mein innerster Mensch aber schmeckt sie (auch) nicht als Gaben

Gottes, sondern als ewig. Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen

Spiegel hinein und setze es unter das Rad der Sonne; dann wirft die Sonne

ihren lichten Glanz aus der Scheibe und aus dem Grunde der Sonne aus und

vergeht darum doch nicht. Das Rückstrahlen des Spiegels in der Sonne ist in

der Sonne (selbst) Sonne, und doch ist er (der Spiegel) das, was er ist. So ist es

auch mit Gott. Gott ist in der Seele mit seiner Natur, mit seinem Wesen und mit

seiner Gottheit, und doch ist er nicht die Seele. Das Rückstrahlen der Seele, das

ist in Gott Gott, und doch ist sie das, was sie ist. Gott wird da alle Kreaturen.

Gottes Sprechen wird da Gott.

Als ich im Grunde, im Boden, im Strom und Quell der Gottheit stand, da

fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte: da war niemand, der

mich hätte fragen können. Als ich aber ausfloß, da sprachen alle Kreaturen von

Gott (sprachen Gott aus). Fragte man mich: „Bruder Eckhart, wann gingt ihr

aus dem Haus?“ — Da (während ich gefragt wurde) war ich drinnen. So spre-

chen alle Kreaturen von Gott. Und warum sprechen sie nicht von der Gottheit?