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V. Eingebung und künstlerische Wahrheit

Das Verhältnis der künstlerischen Wahrheit zur geschichtlichen

Wahrheit, das wir oben berührten, ließ schon erkennen, daß und

wie die Eingebung überhaupt alle Rätsel der künstlerischen Wahr-

heit erkläre.

Die innere Wahrheit des Schönen, die wir allgemein die künst-

lerische Wahrheit nennen, ist durch Eingebung der Ideenwelt ent-

nommen; daher reiner, gesammelter als die Wirklichkeit nur je

sein kann.

Indem die Eingebung aus dem innersten Grunde, dem Intelligi-

blen des Gegenstandes, seiner Ganzheit und Glieder, dem Allgemei-

nen und Einmaligen, Besonderen zugleich schöpft, sammelt sie in

sich die Samen- und Seinskraft ihres Gegenstandes; damit aber die

höchste innere Wahrheit. Diese ist maßgebender für die Sache als

das von Zufällen getrübte Geschehen der Erfahrung und Geschichte.

Darum, je kunstfremder eine Zeit, umso mehr stellt sie die Kunst

dem „Leben“ entgegen; je kunstbeseelter, umso einiger ist ihr dem

Wesen nach beides, umso unmöglicher ein grundsätzlicher Wider-

spruch beider.

Mit Recht erklärte daher Tieck den Dichter als einen „V er-

d i c h t e r“, den bloßen Schreiber aber und handfesten Erfah-

rungsanbeter als „V e r d ü n n e r “ . Wird das Schöne aus der Ein-

gebung (in ihrer Rückverbundenheit) erklärt, so stellt sich uns des

Rätsels Lösung mühelos dar. Denn die Eingebung selbst ist schon

Verdichtung, ist das Erfassen der Dinge an der Quelle, in ihrem

Reinsten, Wesenhaften; wohingegen diejenigen, welche die Wirk-

lichkeit von außen beobachten, erfahrungsmäßig in ihrem äußeren

Gewande abschildern, sie in Wahrheit verdünnen. Sie liefern daher

nur Zusammengeleimtes und Geklittertes statt des Wesenhaften,

Wachstümlichen, aus einem Gusse Entstandenen. In seiner Erzäh-

lung „Der Mondsüchtige“ (1831) führt Tieck mit Recht das Bei-

spiel an, die Verdünner hätten aus Goethes „Werther“ (der ein

Werk der Verdichtung ist) ganze Büchereien herausgezogen. — Das-

selbe könnten wir allgemein von den späteren Naturalisten, Im-

pressionisten und allen ähnlichen Richtungen dieser Art sagen. Sie

schildern Äußerlichkeiten, kommen ins Endlose mit ihren „breiten

Bettelsuppen“, aber am Samenhaften, Hervorbringlichen des Gegen-