105
H o f f m a n n in des „Vetters Eckfenster“ sicher treffend und tief-
blickend schildert, auch bei aller sogenannten „ P h y s i o g n o -
m i k“ am Werke. Aus den Zügen des Antlitzes wird auf die
Gemüts- und Wesensart des Menschen zurückgegangen — nicht
„geschlossen“, denn das wäre Logik, Begriffs-Sache; vielmehr er-
schaut, gleichsam in einer Entrückung erfühlt, halb erträumt, erlebt.
Die äußere Gestalt führt auf das Geistig-Innerliche zurück, welches
ihr, der Gestalt als Wesensgrund innewohnt.
Ganz ebenso ergeht es ja jedem Beschauer eines Gemäldes, eines
Bildwerkes, wie zuletzt jedes anderen Kunstwerkes: Er muß durch
Versenkung in die Gestalt des Geistig-Innerlichen, das sich in der
Gestalt darstellt, in d e n s e l b e n Z u s t a n d d e r E i n g e -
b u n g v e r s e t z t w e r d e n , wie der Künstler, als er die
Gestalt erschuf.
Auf diesem Wege von der Gestalt zur Eingebung b e r u h t
z u l e t z t ü b e r h a u p t j e d e r K u n s t g e n u ß , wie sich
früher schon zeigte. Eine Dichtung, ein Tonwerk, ein Werk der
bildenden Kunst muß den Genießenden wenigstens annähernd in
jenen Zustand versetzen, aus welchem heraus der Künstler sein
Werk erschuf, den Zustand der Eingebung.
D. E i n w a n d u n d E n t g e g n u n g
Gegen diese unsere Auffassung vom Wesen der Gestalt als in der
Eingebung wurzelnd und diese vermittelnd, könnten, so scheint es,
besondere Erfahrungen und Tatsachen geltend gemacht werden. So
vor allem, daß f e r t i g e G e d i c h t e dem Dichter im Geiste
erscheinen; ja daß Gedichte als Ganze, in ihrem Wortlaute, auch
im Traume erscheinen können; ferner, daß es ebenso dem Maler,
Bildhauer und Baukünstler ergehe, der ebenfalls f e r t i g e B i l -
d e r und Entwürfe innerlich vor sich sieht; desgleichen dem Ton-
dichter, der die T ö n e u n d T o n f o l g e n f e r t i g im Ohre
hört, dem Tanzkünstler, Schauspieler und dergleichen, welche den
Gegenstand ihrer Kunst gegeben vor sich sehen können.
Weiters könnte man fragen, aus welchem geistigen Eingebungs-
inhalte Zierformen (Ornamente) kommen sollen, darunter Werke,
die unsere staunende Bewunderung ewig finden werden, wie vor