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s c h i e d e n e r S e i n s e b e n e stammend zu unterscheiden;
aber dennoch festzuhalten, daß sie in e i n e r Gesamtgestalt
erscheinen.
Daraus ergibt sich, inwiefern die D u r c h f ü h r u n g der Ge-
staltung der Eingebung in keiner Kunst eine einfache, sondern
eine m e h r f a c h e Aufgabe in sich schließt. Sie kann nur durch
gleichzeitige Inanspruchnahme von Mitteln verschiedener Seins-
ebenen gelöst werden!
Unserer Unterscheidung von Gestaltungsmitteln verschiedener
Seinsebenen scheint nun in anderer Weise wieder der früher
erwähnte Fall entgegenzustehen, daß dem Künstler manchmal das
fertige Gedicht, das fertige Gemälde, die vollständige Tonfolge,
kurz das Werk als Ganzes vor die Seele treten könne. Hier wäre
also von Anbeginn eine Einheit aller Gestaltungsebenen gegeben.
Nun leugnen wir diese Einheit als letztes Ergebnis künstlerischen
Schaffens keineswegs. Die Tatsache aber bleibt bestehen, daß diese
einheitliche Gesamtgestalt aus Teilgestalten ungleicher Seinsebene
besteht! Dies zeigt sich auch im Falle eines f e r t i g erscheinenden
Gedichtes, Bildes usf. deutlich daran, daß sogar in solchen Fällen
der Künstler stets noch bessert, und zwar an den verschiedenen
Ebenen verschieden, z. B. am Silbenmaß der Dichtung oder an den
Worten in ihrer geistigen Bedeutung oder an den Worten ihrem
Klanggehalte nach usw. ändert und feilt. Es ist bekannt, daß selbst
die größten, eingebungsvollsten und gestaltungskräftigsten Künst-
ler und Stilisten wie Goethe, Schiller, Mozart, Beethoven an der
Gestaltung und Durchgestaltung ihrer Werke viel und immer wie-
der arbeiteten und besserten. Wo das nicht geschieht, wie wohl bei
Lope de Vega mit seiner Unzahl schnell hingeworfener Dramen,
wirkt es sich bekanntlich nicht zum besten des Kunstwerkes aus,
mag die Eingebung noch so genial gewesen sein.
Die Grundtatsache ist hier, daß die Eingebung meist nur das
Grundsätzliche, Allgemeine gibt, oft fast nur wie ein Schatten ist.
Der ausführende Künstler hat daher noch einen langen Weg vor
sich, ehe er die Eingebung auch nur in eine geistige Gestalt bringt,
geschweige denn ihre ganze Gestalt auf allen anderen Gestaltungs-
ebenen zutage fördert, sie in Worte, Töne, Zeitmaße, Farben,
Werkstoffe, Gebärden und ihre sonstige Leiblichkeit bringt.