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kann das Schöne nur aus dem Zauber der Eingebung schaffen! Jene
Bilder und Tonfolgen können ihm nur die Grundlage für Gestal-
tungsaufgaben sein, welche die Eingebung stellt!
Es ist keine Ehre für unsere Kunstwelt, der Meinung zu huldigen,
dem Maler kämen eben Bilder, dem Tonsetzer Tonfolgen und
Zusammenklänge;
und
besonders
letztere
„ b e d e u t e t e n
n i c h t s “ ! Unwillkürlich muß man sich da an Meister Eckeharts
bitteres Wort gegen die Scheinheiligen erinnern, von denen er sagte,
außen seien sie Heilige, „inwendig aber Esel“.
Um im besonderen noch Dürers „Knoten“ zu gedenken, so
gehen sie bestimmt auf eine gewaltige innere Arbeit zurück. Aller-
dings läßt sich außer allgemeiner, endloser Verschlungenheit keine
inhaltlich bestimmbare Eingebung dabei angeben; aber darum haben
sie trotz aller Bewunderung, die sie verdienen, doch auch nur etwas
A b g e l e i t e t e s an sich. Ohne dauernde Beschäftigung mit
Zierformen sind sie nicht denkbar.
Hier aber ist Wesentliches festzustellen: Unsere gesamten über-
lieferten Zierformen (Ornamente), die heute nur äußerlich, nur als
zeichnerische Umrißgebilde aufgefaßt werden, s t a m m e n a u s
u r a l t e n s a k r a l e n G e g e n s t ä n d e n , h a b e n a l s o
e i n e u r a l t e E i n g e b u n g s g r u n d l a g e . Das einfachste
Beispiel sind die altnordischen, zum Teil heute noch lebendigen
Muster, welche von der die Welt umschlingenden Midgardschlange
ausgehen!
Ursprünglich gab es keine bloße Zierkunst. Was heute Zierkunst
ist, ist von einer Urkunst aus zu begreifen, welche auf bestimmte
religiös-metaphysische Vorstellungen und Eingebungen zurückgeht.
Außer den altnordischen Drachenmustern, abgeleitet von der Mid-
gardschlange, braucht man nur auf die chinesischen Drachen, ferner
auf das altgriechische Mäandermuster, das sich keineswegs darin
erschöpft, eine Zierleiste zu sein, vielmehr von dem die Erde
umgebenden Weltstrom (dem Okeanos) kommt, zu denken.
Wie man die Dinge auch betrachte, stets zeigt sich: Die Kunst
beruht immer auf Eingebungen, die g e s t a l t e t werden müssen.
In der Dichtung liegt dies ohnehin am Tage, denn selbst bloßes
Wortgeklingel muß zuletzt von jenen Eingebungen, welche dem
Wortsinne und der Wortschöpfung zugrunde liegen, sich ableiten.
Ebenso bedarf auch eine Sonate, eine Symphonie, ein Werk der bil-