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III.
Das Schöne als Ineinander von Gestalten verschiedener
Ebenen
Es gehört zu den unbegreiflichen Launen der Geistesgeschichte,
daß die Kunstphilosophie das Ineinander von Gestalten verschie-
dener Ebene nicht beachtete.
Die Grundtatsache, welche hier vorliegt, ist jedem bekannt: Die
Gestalten einer Dichtung, eines Tonwerkes, eines Gemäldes, eines
Bildwerkes, eines Gebäudes, einer schauspielerischen Leistung, eines
Tanzes sind nicht aus einerlei Holz geschnitzt; vielmehr sind in
ihnen stets Mittel verschiedener Art, und zwar, was wichtig ist,
zugleich verwendet. Wir unterscheiden, wie sich auch schon ergab:
die Gestalten g e i s t i g e r A r t oder geistigen Mittels wie
z. B. die Nixe und den Fischer oder Siegfried und Hagen; und zwar
in rein innerlicher Bestimmtheit (abgesehen von aller äußerlichen
Bestimmtheit); ferner
die Z e i t g e s t a l t e n oder Gestalten zeitlicher Ebene, so die
Silbenmaße in der Dichtung, die Zeitmaße (Rhythmen) in der Ton-
kunst, samt den Betonungen (Akzenten), welche zur Gliederung der
Zeitmaße gehören; desgleichen in der Tanzkunst, der Schauspiel-
und Vortragskunst; mittelbar auch in der Architektur, welche
treffend „gefrorene Musik“ genannt wurde. Weiter unterscheiden
wir
die R a u m g e s t a l t e n oder Gestalten räumlicher Ebene,
welche in der bildenden Kunst hervorragen, aber auch in der schau-
spielerischen Kunst, der Tanzkunst und der Tonkunst (Bewegungen
des Leiters und der Spieler) eine Rolle spielen. Endlich sind noch
zu unterscheiden
die s i n n l i c h - s t o f f l i c h e n Gestalten oder Gestalten
der sinnlich-stofflichen Ebene, welche überall dort gegeben ist, wo
es sich um Farbe, Ton und andere sinnliche Beschaffenheit, z. B. der
Werkstoffe in der Bildnerei und in der Baukunst oder auch in der
Schauspielkunst, Theatermalerei, Tanzkunst, um die Verleiblichung
der Dichtung und die leibliche Darstellung überhaupt, z. B. die
Maske des Schauspielers, handelt.
Wir müssen es geradezu als einen der Hauptpunkte der Kunst-
philosophie bezeichnen, die Mittel der Gestaltung nicht als einheit-
lich zu fassen, sondern sie als von verschiedener Artung, v e r -