114
zeigt sich im Schauspiele an den Gegen- und Nebenspielern, welche
dem Haupthelden zur Seite und gegenüberstehen.
Für den W i d e r p a r t oder Gegenspieler führten wir schon
oben Mephisto gegen Faust und Hagen gegen Siegfried als Beispiele
an; doch liegt es ganz am jeweiligen Geistesgehalte der Eingebung,
ob ein Widerpart in ausgeprägter Form nötig oder auch nur möglich
sei. Oft kann das Gegnerische auf mehrere Rollen (Gestalten) ver-
teilt sein.
Die N e b e n s p i e l e r lassen sich als unmittelbare und als
fernere Entsprechungsgestalten und Hilfsgestalten unterscheiden. So
gehört das Gretchen zum Faust als nahe Entsprechung, später
Helena; dagegen die Hexe und Walpurgisnacht dem Mephisto
entsprechen.
Diese unsere Unterscheidungen lehren auch, daß sich ein starrer,
für alle gültiger Rahmen und Gliederbau nicht geben lasse: Es
kommt alles auf den Sinngehalt des Schauspiels, das heißt, der
Grundeingebung an.
Daß die Poetik des Aristoteles auf eine einzige R e g e l abzielt,
hat in der religiösen Bestimmtheit des attischen Dramas, welche
sozusagen liturgisch begründet war, ihren Grund. Dagegen ist es
klar, daß alle neuzeitlichen Poetiken, welche eine einzige Grund-
regel erstreben, gerade hier versagen müssen. Denn das neuzeitliche
Drama ist nicht mehr in einen liturgisch-religiösen Rahmen ein-
gespannt, daher in seinem Sinngehalte weit vielfältiger; also auch
in der Gestaltengliederung! Schillers „Tell“ ist auch hierfür ein lehr-
reiches Beispiel.
3.
Die Fortschreitung in der E n t f a l t u n g o d e r U m -
g l i e d e r u n g . Haben wir in der Gestaltenwelt eines Schauspiels
die Ausgliederung des Geistesgehaltes vor uns, dann im Fortschrei-
tungsgange der Entfaltung, in der Entwicklung des Ganzen die Um-
gliederung. Hier tritt noch auf rein geistigem Gebiete (das heißt
nicht innerhalb des Naturhaften als Gestaltungsmittel) die Z e i t
hervor. Der Gang der Entfaltung des Gliederbaues der Gestalten in
der Zeit oder die Umgliederung stellt sich in einer Abfolge des
Auftretens von Menschen, Handlungen und Begebenheiten dar.
Die Entfaltung der Gestalten in der Zeit hat wieder ihre eigene
Gestalt, die Zeitgestalt. Von den Grundzügen der Zeitgestalt (den
Zeitmaßen usw.) sprechen wir später. Jetzt ist nur wesentlich, daß