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Eltern hat wieder der halsstarrige Kapulet den Vorrang; weitere Entsprechungs-
gestalten sind die Träger dieses Zwistes unter den Dienern, welche abermals eine
Stufe tiefer stehen; dazu nach der Seite Julias hin die Amme; endlich andere
Entsprechungs- und Folgegestalten fernerer Ordnung, die als Nebenpersonen auf-
treten - sie alle stehen in einem Über- und Unterordnungsverhältnisse zur geisti-
gen Urgestalt, die im Liebespaare gegeben ist; sie d i e n e n der Urgestalt zur
vollständigen Entfaltung und bilden dabei einen deutlichen Stufenbau der Aus-
gliederung.
In gewissem Sinne ist aber auch von einem S t u f e n b a u d e r
E n t f a l t u n g i n d e r Z e i t (einem Stufenbau der Umglie-
derung) zu sprechen. Er ist dadurch gekennzeichnet, daß die zuerst
meist mehr keimhaft auftretenden Gestalten schließlich ihre Reife
oder Volldarstellung, sinngemäß auch die Überschreitung der Mit-
tagshöhe ihrer Reife, ihren Untergang finden.
Dabei hat jede Gestalt, sowohl im Gliederbau wie im Umgliede-
rungsverlaufe betrachtet, ihr Eigenleben. Das Eigenleben im Zeit-
verlaufe betrachtet, ist recht eigentlich das, was man das Schicksal
nennt. Diesem müssen wir noch eine eigene Bemerkung widmen.
5.
Außer dem Eingebungsinhalte, aus welchem die geistige Ur-
gestalt mit ihrem Stufenbau von Entsprechungsgestalten und abge-
leiteten Gestalten fließt, ist noch jenes aller hohen Kunst Unent-
behrliche zu unterscheiden: das S c h i c k s a l . Es waltet über
allem, ist der verborgene Wurzelgrund der geistigen Urgestalt und
ist auch dann im Hintergrunde des Schönen, wenn es nicht beim
Namen genannt wird. — In der griechischen Tragödie tritt es
bekanntlich — und zwar entsprechend dem metaphysisch-religiösen
Wesen dieser — deutlich hervor, im neuzeitlichen Schauspiele bleibt
es meist verborgen, kann aber in Wahrheit dem echten Schönen
niemals ganz fehlen. Gerade in „Romeo und Julia“ wird es als der
letzte Hintergrund des Geschehens sichtbar.
Zuletzt gehört das Schicksal der Rückverbundenheit an, wo wir
ihm wieder begegnen werden.
Wir deuteten soeben den Gliederbau der geistigen Gestalten in Romeo und
Julia an. Es dient vielleicht der Klarheit, daß man die Reihenfolge der Betrach-
tung auch u m k e h r e n könnte.
Gehen wir von der Gesamtgestalt, in welcher uns das Drama entgegentritt, aus,
so lösen sich, von außenher gesehen, aus dieser zuerst die Nebengestalten heraus,
wie Mercutio, Tybalt, die Amme usw.; wir stoßen dadurch auf die Feindschaft
der Diener beider Häuser; dadurch auf die Feindschaft der Elternpaare; womit