117
bereits jene Entsprechungsgestalten (nämlich beide Elternpaare selbst) gegeben
sind, die der Urgestalt, dem Liebespaare, am nächsten stehen. - Die Urgestalt
endlich ist selbst nur die Gestaltung der dem ganzen Kunstwerke zugrunde lie-
genden E i n g e b u n g vom Wesen unbedingter Liebe und ihrer sich alles unter-
werfenden Herrschergewalt.
Wir könnten dasselbe auch an vielen anderen Beispielen belegen.
Unsere Lehre vom Stufenbau der Gestalten bewährt sich auch dort,
wo die Hauptperson und Haupthandlung nicht so durchaus ein-
heitlich zu sein scheint wie in unserem bisherigen Beispiele. In
Schillers „Tell“ tritt, worauf wir schon hinwiesen, neben Tell das
Volk selbst auf, ferner kommt dazu das adelige Liebespaar. Die
Schichtung ist demgemäß verwickelter, aber sie fehlt nicht. — Ähn-
lich steht es in Shakespeares „Sommernachtstraum“, wo neben dem
menschlichen Liebespaare eines aus der Geisterwelt steht. Aber die
Einheit ist doch gewahrt, denn im Mittelpunkte, das heißt, im
Stufenbau an oberster Stelle steht das menschliche Liebespaar und
selbst die höheren Gestalten, Oberon und Titania, müssen sich dem
Sinne des Dramas unterordnen. Es ist also auch hier eine geistige
Urgestalt, welche in zwei Liebespaaren erscheint, zu unterscheiden;
und an sie schließen sich (in ihrer Doppelgestalt) die näher und
ferner entsprechenden Gestalten, Handlungen und Begebenheiten.
Die Meisterschaft Shakespeares tritt gerade hier wieder zutage. Er
überwindet die Schwierigkeit dadurch, daß die Unterordnung des
höheren Paares, Oberon und Titania, indem es doch zugleich das
S c h i c k s a l des niederen bestimmt, das Traumhafte, Zauber-
hafte der geistigen Urgestalt recht eigentlich prägt, wodurch die
Liebenden den höheren Kräften überlassen werden und dennoch im
Mittelpunkte, das heißt, im Stufenbau am höchsten stehen.
Welches Beispiel wir auch wählen würden, überall hätten wir das-
selbe Ergebnis: Die g e i s t i g e U r - o d e r G r u n d g e -
s t a l t i s t s c h ö n , s o f e r n s i e d i e E i n g e b u n g g e -
t r e u l i c h w i e d e r g i b t , i h r e n G l a n z b e w a h r t ; d i e
E n t s p r e c h u n g s g e s t a l t e n sind ebenfalls schön, sofern
sie die Urgestalt rein widerspiegeln; und auch die Übertragungen
auf die n a t u r h a f t e n E b e n e n haben diese Aufgabe zu
erfüllen und die Eingebung herüberzuretten, um ihren Glanz zur
Geltung zu bringen.
Sinngemäß läßt sich unsere Lehre von der Gliederung der geisti-
gen Gestalten auch in den b i l d e n d e n K ü n s t e n anwenden.