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Fürs erste folgt daraus, daß nicht das einzelne Bildnis, nicht das

einzelne Standbild das Wesen von Malerei und Bildnerei bezeichne;

vielmehr ist es eine gleichsam dramatische Mehrheit von Gestalten,

welche dem Wesen dieser Künste entspricht. Selbstgespräch kann

nirgends das Wesen einer Kunst darstellen! Demgemäß sehen wir

denn auch in den Giebelgestalten der griechischen Tempel stets

zusammenhängende Gebilde vor uns, im Parthenonfries eine

Geschichte, nämlich einen Festzug zu Ehren der Göttin, dargestellt;

sogar in den urältesten Steinzeitmalereien, den Felsenbildern, sind

ganze Anordnungen, nämlich den Jagdzauber darstellend, zum

Gegenstande genommen. Das neuzeitliche einzelne Standbild, und

was ihm entspricht, ist in Wahrheit am Rande der Kunst. Leonardo

ließ in seiner Mona Lisa die Landschaft mitsprechen, und so

geschieht es auch auf vielen Kreuzigungsbildern (wenn sie über-

haupt den Gekreuzigten allein darstellen!). Daraus folgt, daß z. B.

die sogenannte Historienmalerei dem Wesen echter Malkunst mehr

entspricht. Es ist ja auch klar, daß sich z. B. Dürer in „Ritter, Tod

und Teufel“ mehr entfalten konnte und dem Mittelpunkte seiner

Kunst näher war als etwa in dem Bildnisse Hieronymus Holz-

schuhers. — Dasselbe gilt sinngemäß von der Bildhauerei.

Haben wir aber eine Mehrheit von Gestalten, dann liegt es am

Tage, daß die Unterscheidung von Urgestalt und Entsprechungs-

gestalten grundsätzlich in ähnlicher Weise gilt, wie in der entwik-

keltsten Kunstart, im Drama. In einem Kreuzigungsbilde ist Chri-

stus die Grund- und Urgestalt, Johannes, Maria, Maria Magdalena,

die Kriegsknechte oder wer sonst noch dabei sein mag, sind Ent-

sprechungsgestalten.

Endlich treten die Begriffe der Gestaltengliederung auch in Kraft,

wenn es sich nicht nur um die Zergliederung eines einzigen Kunst-

werkes handelt, sondern vergleichende Betrachtungen, die sich auf

mehrere Werke erstrecken, anzustellen sind. Man kann z. B. g a n z e

R u n d e n verschiedener Gestalten eines Dichters vergleichen, wie

etwa die Frauen in Goethes Dichtungen: Gretchen, Klärchen, Iphi-

genie, Mignon, Natalie, Makarie, Dorothea. Man erkennt in ihnen

deutlich Geist vom Geiste und Fleisch vom Fleische des Dichters,

will sagen: Die Art der E i n g e b u n g , die vom Dichter lebte!

Auch Faust, Meister, Tasso, Egmont lassen sich auf diese Weise

vergleichen.