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Ottave rime
Stanze, dich schuf die Liebe, die zärtlich schmachtende; dreimal
Fliehest du schamhaft und kehrst dreimal verlangend zurück.
Das Nüchterne des Alexandriners mit seinem Einschnitte am
Schlusse des dritten Versfußes rügt dagegen ein anderes Xenion:
Alexandriner
In das Gewölk hinauf sendet mich nicht mit Jupiters Blitzen,
Aber ich trag euch dafür ehrlich zur Mühle den Sack.
Noch ausführlicher äußert sich in tiefdringender Weise darüber
Schiller in einem Briefe an Goethe vom 15. Oktober 1799:
„Die Eigenschaft des Alexandriners, sich in zwei gleiche Hälften zu trennen,
und die Natur des Reims, aus zwei Alexandrinern ein Couplet (das heißt hier
Zweizeiler) zu machen, bestimmen nicht bloß die Sprache, sie bestimmen auch
den ganzen Geist dieser Stücke. Die Charaktere, die Gesinnungen, das Betragen
dieser Personen, alles stellt sich dadurch unter die Regel des Gegensatzes, und
wie die Geige des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet, so auch die zwei-
schenklige Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüts und der Gedan-
ken. Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert, und jedes Gefühl, jeder
Gedanke in diese Form wie in das Bett des Prokrustes gezwängt.“
Schiller billigt demnach hier der Zeitgestalt des Gedichtes, aller-
dings in Verbindung mit dem Reime, der Tongestalt, einen großen
Herrscherbereich zu!
Das S o n e t t enthält im Deutschen, anders als im Italienischen,
leicht etwas Gekünsteltes, Ausgedachtes, woran allerdings nicht die
Zeitgestalt allein, sondern auch die Tongestalt, die Verschlingung
der Reime, Schuld trägt. (Goethe kam erst spät, durch die Roman-
tiker, zum Sonett.)
Die S t a n z e wirkt im Epos durch die jedesmalige Zusammen-
fassung mittels des Reimpaares am Schlusse der Strophe, also wieder
hauptsächlich der Reime (Tongestalt), hemmend oder schleppend.
Anders die T e r z i n e n , in denen nicht zufällig Dantes
großes Gedicht abgefaßt wurde. Wiederum ist es hier die Ton-
gestalt, nämlich die Verschränkung der Reime, welche auf ein un-
unterbrochenes Fortschreiten hindrängt. — Es zeugt von einer
bemerkenswerten Verkennung des Wesens der Stanze und Terzine,
daß ein Übersetzer Dantes, Pochhammer, auf den Gedanken kom-
men konnte, die „Göttliche Komödie“ aus ihren herrlichen Ter-
zinen in deutsche Stanzen umzugießen!
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Dantes Göttliche Komödie, In deutschen Stanzen frei bearbeitet von Paul
Pochhammer, Leipzig 1901.