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Das heitere, bewegte Zeitmaß dieser Sprache ist dennoch so
knapp, als es nur immer das Schwelgen im inneren Flusse des
erwachenden Frühlings erlaubt; wie denn auch die allgemeine
Betrachtung und Hingabe des glückseligen Taugenichts sogleich
durch die Dazwischenkunft des Vaters unterbrochen wird. Das wie-
gende Zeitmaß geht dann mehr in das fast holprige des Redetons
über:
„Du Taugenichts, da sonnst du dich schon wieder ... Der Frühling ist vor der
Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot.“
Es ist deutlich, Gehalt und Zeitmaß müssen einander entsprechen.
Nur in Lakedämon ist das Zeitmaß lakedämonischer Sprüche ange-
bracht, nämlich höchste Gedrungenheit und Kürze.
Als ein Beispiel dafür, wie besonders die im Satzbau und in den
Satzfolgen liegenden Betonungen das Wesentlichste der Zeitgestalt
des Prosastiles bilden, möge der Schluß von Goethes „Wahlver-
wandtschaften“ dienen, der wie ein Segensspruch wirkt:
„So ruhen die Liebenden nebeneinander. Friede schwebt über ihrer Stätte,
heitere, verwandte Engelsbilder schauen vom Gewölbe auf sie herab, und welch
ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn sie dereinst zusammen wieder
erwachen.“
Z u s a t z ü b e r G o e t h e s S t i l
Zuletzt sei es erlaubt, auf einen Aufsatz F r i e d r i c h S c h l e g e l s im
„Athenaeum“ (1798) zu verweisen: „Versuch über den verschiedenen Stil in
Goethes früheren und späteren Werken“
1
. Schlegel unterscheidet darin den
früheren Stil, in welchem er „das Subjektive und das Objektive durchaus ver-
mischt“ findet, vom späteren (Iphigenie, Hermann und Dorothea und andere),
der „durchaus objektiv“ ist
2
. Schlegel sieht darin eine „endlose Aussicht“ eröff-
net „auf das, was die höchste Aufgabe aller Dichtkunst zu sein scheint, die Har-
monie des Klassischen und des Romantischen“. Er legt sein Ergebnis in den denk-
würdigen Worten nieder: „Goethe hat sich in seiner langen Laufbahn von sol-
chen Ergießungen des ersten Feuers, wie sie in einer teils noch rohen, teils
schon verbildeten Zeit, überall von Prosa und von falschen Tendenzen umgeben,
nur immer möglich waren, zu einer Höhe der Kunst heraufgearbeitet, welche zum
ersten Male die ganze Poesie der Alten und der Modernen umfaßt und den Keim
eines ewigen Fortschrittes enthält“
3
.
1
Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich
Schlegel, Berlin 1798, Neudruck, Pan-Verlag, Berlin 1905, S. 256 ff.
2
Fr. A. Schlegel, a. a. O., S. 262.
3
Fr. A. Schlegel, a. a. O., S. 263.