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schaften, das heißt, einer sinnlichen Gestalt. Der Tat nach geschieht

sie g l e i c h z e i t i g mit der zeitlichen und räumlichen Über-

tragung, begrifflich ist sie jedoch zu trennen. Die wesentlichsten

sinnlichen Eigenschaften oder Beschaffenheiten, welche durch die

Verleiblichung der geistigen und zeiträumlichen Gestalt entstehen,

indem sich die entsprechenden Sinnesreize und Sinneseindrücke bil-

den, sind: der Ton in der Tonkunst und in der Dichtkunst, wo er

als Lautbestand oder Klang der Worte durch ihre Selbst- und Mit-

laute auftritt; Licht und Farbe in der Malerei, Bildnerei und Bau-

kunst; ferner die Oberflächenbeschaffenheit der Werkstoffe, z. B.

Marmor, Elfenbein, Bronze, Holz, mit ihrem verschiedenen Glanze,

ihrer Glätte, Rauheit und anderem mehr.

Das Sinnliche kann demnach in keiner Kunst fehlen. Selbst in der

Schauspielkunst,

Redekunst,

Vortragskunst,

Aufführungskunst

(Spielleitung, Dirigieren), Tanzkunst, Gartenkunst sind Töne, Lich-

ter, Farben, Tastbeschaffenheiten zur Volldarstellung unentbehrlich.

Dabei liegt stets eine Stofflichkeit zugrunde; denn auch Luft-

schwingungen,

Farbenlacke,

elektromagnetische

Schwingungen,

Glühlampen (für die Kulissenbeleuchtung und dergleichen) gehören

der Welt der Physik an, sind Stofflichkeiten im weiteren Sinne.

Sind nun die sinnlichen Beschaffenheiten wirklich „Gestalten“ zu

nennen? Diese Frage ist unbedingt zu bejahen. Nur die falsche

Beschränkung des Gestaltbegriffes auf die Raumgestalt verleitet zu

ihrer Verneinung. Denn die sogenannte Komplementarität der Far-

ben, der Einklang oder Mißklang der Töne, das Miteinander oder

Gegeneinander der Tast- und Lichtbeschaffenheiten der Werkstoffe

sie alle schließen in sich Entsprechungen, Ergänzungen, Gegen-

seitigkeiten, Gliederungen, demnach g e s t a l t l i c h e Bestimmt-

heiten!

Wie von einer zeitlichen und räumlichen Gestalt muß man dem-

nach auch von einer sinnlichen Gestalt des Schönen sprechen.

Wir berichtigen mit diesem Satze einen schlimmen herkömm-

lichen, üblichen Irrtum: Die auf Reize zurückgehenden sinnlichen

Empfindungen sind keineswegs ein „ a m o r p h e s M a t e r i a l “

der Kunst; sie sind vielmehr auf ihrer eigenen Ebene selber schon

Gestalten; allerdings sind sie nur Gestalten niederer Art, auf denen

sich die höherer Art, nämlich die geistigen und auch die zeitlichen

Gestalten erst erheben. Ferner sind sie, wie schon betont, nur