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den Odysseus, im ganzen Leben und Tun Siegfrieds, im Leben des
Bösewichtes Richard III. — herrscht überall sinnvolle, innerlich
begründete und dem Geiste verständliche Entsprechung, Einklang,
Eintracht.
Wo aber in einem Schönen Fehlentsprechungen, Mißklänge auf-
treten, da stellen wir auch unbedingt innere Widersprüche oder
Widersprüche mit der Welt, mit dem Sittengesetze fest, begründen
und begreifen sie also aus dem Geistigen jenes Schönen heraus. Bei
Odysseus und Siegfried sind es die Widersprüche zur äußeren Welt,
bei Richard III. die zum Sittengesetze, die sich uns aufdrängen.
Auf geistigem Gebiete ist demnach Einklang und Mißklang
grundsätzlich einsichtig zu verstehen, von innen her, unmittelbar zu
begreifen; anders auf zeiträumlich-sinnlichem Gebiete. Hier sind
wir auf die sinnliche Erfahrung angewiesen, z. B. darauf, daß Rot
und Grün einander entsprechen, ergänzen, andere Farben einander
nicht entsprechen; ebenso daß gewisse Intervalle gewisser Ton-
arten sich vertragen, entsprechen, andere sich nicht vertragen, nicht
entsprechen. So finden wir den Dreiklang in Entsprechung, Ein-
tracht oder Harmonie, dagegen aber Septim und Sekunde, Grün und
Gelb in Mißklang, Mißentsprechung. Das lehrt uns, wie gesagt, die
sinnliche Erfahrung. (Auch die Erkenntnis der Verhältnisse der
Schwingungszahlen der Luft und der elektromagnetischen Wellen ist
ein nachträgliches Ergebnis der physikalischen Forschung, nichts
Einsichtiges.)
Daraus erkennen wir leicht die Notwendigkeit, daß die geistigen
Entsprechungen oder Einklänge mit den durch die Erfahrung gege-
benen sinnlichen in Zusammenstimmung gebracht werden müssen,
soll ein Schönes entstehen: Die Zeitmaße, Raumabmessungen, sinn-
lichen Beschaffenheiten der Lichter, Farben, Töne, Tastungen und
Geschmäcker müssen im Kunstwerke nicht nur untereinander, sie
müssen vor allem dem Geistigen, das sie gestalten, entsprechen.
Ebenso verhält es sich mit dem Begriffe des E b e n m a ß e s
o d e r d e r S y m m e t r i e . Auch sie beruht auf einer Entspre-
chung in dem soeben erklärten Sinne; jedoch ist sie auf einen enge-
ren Bezirk beschränkt. In der Raumgestalt ist es die Gleichteiligkeit
im Sinne gleicher räumlicher Abmessungen, in der Tongestalt die
Gleichteiligkeit nach Höhe und Tiefe oder sonstiger Verteilung der
Töne und Klänge, in der Licht- und Farbenwelt die Gleichteiligkeit