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Wie in der Musik, so auch in der Dichtkunst, in der Tanzkunst,

in der Schauspiel-, Vortrags- und Rede- wie Gesangskunst, in allen

Zeitkünsten insgesamt. Die Zeitwerte kann man sich aus Wortfolge,

Handlung, Leibesbewegung, Gebärdenfolge usw. nicht wegdenken,

wohl aber kann man die besondere Bestimmtheit aller dieser fort-

denken, so daß immer noch das Zeitmaß übrig bliebe! Dabei erweist

sich das Zeitmaß als Grundlage alles Besonderen. Das schnelle Zeit-

maß z. B. kann nicht Grundlage beliebiger Gestaltungen der nach-

geordneten Ebenen werden, sondern nur solcher nachgeordneter

Gestaltungen, die ihm angemessen sind, ihm sinnvoll entsprechen,

z. B. stürmischen Willen, Leidenschaft, ausbrechende Freude dar-

stellen.

Die Zeitgestalten allein, für sich selbst genommen, sind natürlich

vollständig l e e r ; sie müssen erst die Töne in der Musik, die Worte

mit ihrem Lautbestande und Bedeutungsgehalte in der Dichtung in

sich aufnehmen; aber sie entspringen dennoch unmittelbar den

Grundverhältnissen des Geistes- und Seelenlebens.

In der Dichtung gilt der Vorrang der Zeitgestalt nicht nur für die

gebundene Rede; auch für die ungebundene Rede in Drama, Roman,

Erzählung sind die verborgene Zeiteinteilung der Abschnitte, Hand-

lungen, Begebenheiten und der heimliche, innere Rhythmus der

gesamten Prosa von größter Wichtigkeit.

Sofern aber in der Dichtung und Rede die Worte wie die Gebär-

den (Rhetorik und Mimik) selber B e d e u t u n g s t r ä g e r sind,

gehören sie weder der Zeit- noch Lautgestalt (Sinnesgestalt), son-

dern unmittelbar dem Geistesgehalte der Dichtung, ihrer G e i -

s t e s g e s t a l t an!

Dies zu beachten ist von Wichtigkeit: D i e W o r t e e n t h a l -

t e n n o c h v o r i h r e r Z e i t g e s t a l t u n d T o n g e -

s t a l t B e d e u t u n g e n und sind in dieser ihrer Eigenschaft

unvermittelt Teile der Geistesgestalt des Schönen. Weder Zeitmaß

noch Sinnlichkeit der Worte können daher das Geistige einer Dich-

tung je auch nur annähernd ersetzen! An dieser Wahrheit scheitert

für ewige Zeiten aller leere „Ästhetizismus“. Goethes oben ange-

führtes „Ständchen“

1

ist nicht darum vollkommen, weil das Zeit-

1

Siehe oben S. 132.