Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8203 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8203 / 9133 Next Page
Page Background

143

denke nur an den Gegensatz der einsilbigen zu den anderen, besonders den indo-

germanischen Sprachen!) Die Umsetzung der Geistesgestalt des Dichters in die

Zeitgestalt geschieht daher nicht, indem Worte und Akzente sozusagen je für sich

ausgewählt und benützt werden könnten; sondern sie muß aus dem Gesamt-

ganzen, aus dem „Geiste der Sprache“ heraus erfolgen! Davon weiß jeder Über-

setzer ein Lied zu singen.

Hier gelten folgende Vorränge:

Das S p r a c h g a n z e h a t d e n V o r r a n g v o r d e r S a t z g r u p p e ;

d i e S a t z g r u p p e v o r d e m S a t z e ; d e r S a t z v o r d e m W o r t e ,

d a s W o r t v o r d e n S i l b e n u n d L a u t e n .

Die Zeitgestalt verwirklicht sich aber erst im Silbenmaße und im Satzakzente;

sie muß also zugleich aus dem Ganzen der Sprache genommen werden.

In ähnlichem Sinne besteht in der Tonkunst der Vorrang der Themen und

Tonarten vor dem einzelnen Ton; und der Rhythmensysteme vor dem einzelnen

rhythmischen Motiv. Je nach der Gliedstellung in diesem Gesamtganzen, welches

man den M u s i k s t i l nennen kann, ändert sich jedes einzelne Zeitmaß und

jeder einzelne Tonwert.

Darum ist jedes Zeitmaß nur aus dem Gesamtganzen zu verstehen.

Wie steht es nun mit der Vorrangstellung der R a u m g e s t a l t

im Verhältnisse zum Sinnlich-Stofflichen?

Die Raumgestalt, das ist die räumliche Begrenzung, der räumliche

Umriß, eines stofflichen Gegenstandes ist es eigentlich, an die man

gemeiniglich denkt, wenn man von „Form“ oder „Gestalt“ spricht.

Wir wandten uns schon früher dagegen, indem wir die g e i s t i g e

Gestalt oder Form, z. B. eines Odysseus, Parzival, Siegfried als das

Urbild aller Arten von Gestalt erklärten.

Und gerade die Raumgestalt bestätigt dies, indem ihre nähere

Betrachtung zeigt, daß auch ihr etwas Geist-Ähnliches, etwas Im-

materielles, Vor- oder Überräumliches zugrunde liegt.

In unserer „Naturphilosophie“ begründeten wir diese Ansicht

näher

1

. Das Wahrste der Natur sind nicht die Stofflichkeiten

selbst; vielmehr sind es vorräumliche, ideenhafte W e s e n h e i -

t e n , z. B. die Quarzheit, die sich in den Naturdingen, z. B. den

Quarzkristallen, darstellen, verwirklichen. Sie tun dies, indem sie

sich v e r r ä u m l i c h e n , das heißt, aus einem vor- oder über-

räumlichen Zustand in den räumlichen übergehen. Und bei dieser

Verräumlichung fließen sie nicht etwa aus, wie Wasser aus einem

Kruge, werden sie nicht immer dünner und weniger (wie eben die-

ses Wasser), das heißt, formlos verschwimmend; sie nehmen sich

1

Naturphilosophie, 2. Aufl, Graz 1963 [= Othmar Spann Gesamtausgabe,

Bd 15].