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Raumgestalt hat also den Vorrang vor der Farbe. Wie denn auch

umgekehrt die bloße Farbe keine Bildnerei ergäbe.

Ebenso steht es in der Malerei. Ein bedeutendes Gemälde büßt

zwar, wenn in unvorteilhafter Beleuchtung aufgehängt oder die

Farben verdorben sind, nicht nur im Licht- und Farbenspiel ein, es

kann auch an Wert sehr verlieren; dennoch kann es als meisterhaftes

Werk erkannt werden und Eindruck machen. Umgekehrt würde bei

Verlust der zeichnerischen Umrisse nur bei bloßer Erhaltung der

Farben das Gemälde aufhören, eines zu sein und als Kunstwerk gel-

ten zu können. Auch hier also der Vorrang der Zeichnung, das ist

der Raumgestalt vor der Sinnlichkeit, der Farbe.

In der Tonkunst gilt grundsätzlich das gleiche, allerdings nur in

übertragenem Sinne, da es ja in ihr selbst, unvermittelt, keine

Raumgestalt gibt. Die Melodie oder Tonfolge entspricht hier der

Zeichnung. Beim Verluste der Melodie aber wird jedes Tonstück,

als Ganzheit genommen, so gestaltlos, daß es auch bei Erhaltung der

Klänge und Harmonien, also der sinnlichen Gestalt, mehr einem

Chaos als einem Kosmos gliche. So denn auch wirklich die heutige

melodienlose Musik!

Das S i n n l i c h e , welches in Farbe, Klang und Beschaffenheit

des Werkstoffes, z. B. als glänzend, glatt, rauh, hart usw., im Kunst-

werke erscheint, ist nach allem Vorstehenden grundsätzlich nach-

geordnet. Indessen zeigt es selbst wieder in sich Gliederungen,

innerhalb welcher ein Vorrangverhältnis gilt. Es erscheint nämlich

in Wahrheit nirgends ein einzelner Sinneseindruck, z. B. einer ein-

zelnen Farbe, eines einzelnen Tones usw., vielmehr stets innerhalb

eines Gesamtzusammenhanges. So erscheint z. B. Rot neben Grün

(der „Komplementärfarbe“) und beide werden dann erst recht leuch-

tend, beide erhellen einander; andere Farbenzusammenhänge dämp-

fen, stumpfen ab. Grundsätzlich dasselbe gilt innerhalb der Welt

der Klänge. Dadurch wird der Zusammenhang einzelner Sinnesein-

drücke zu einer sinnlichen Gesamtgestalt oder, kurz gesagt, s i n n -

l i c h e n G e s t a l t . Und es gilt der Vorrangsatz:

6

6. I n n e r h a l b d e r s i n n l i c h e n G e s t a l t e n h a t

d a s G e s a m t g a n z e d e r L i c h t - u n d F a r b e n z u s a m -

m e n h ä n g e s o w i e d e r T o n z u s a m m e n h ä n