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die bloßen Striche, Ebenmaße, Harmonien des Sinnlich-Räumlichen allein eine
Ahnung. Alles Sinnlich-Räumliche zusammen könnte nur ein A n g e n e h m e s
hervorrufen (wie es das Tier auch zu empfinden imstande wäre), kein S c h ö n e s !
Daraus folgt allgemein und erläutert den Vorrang des Geistigen:
Das S c h ö n e g e h ö r t n i c h t e r s t w e s e n t l i c h u n d
n i c h t w u r z e l h a f t d e r s i n n l i c h e n G e s t a l t a n ,
s o n d e r n d e m a u s d e r E i n g e b u n g g e s c h ö p f t e n
G e i s t i g e n .
Hiermit ist jeder Naturalismus abgewiesen.
Erweist sich das an der bildenden Kunst, um wieviel mehr an der
Dichtkunst, die selber eine geistige Kunst ist. Hierfür einige Bei-
spiele:
G r i l l p a r z e r s „Armer Spielmann“ hat als seinen einzigen inneren Schatz
Pflichttreue und Wahrhaftigkeit. An ihm ist kein Falsch. Er kennt, wenn es auf
die Probe ankommt, kein Wanken. Aber dieses Innerste - der Geistesgehalt des
Kunstwerkes - verkörpert, versinnlicht sich in ihm als in einem bestimmten,
lebendigen Menschen aus Fleisch und Blut. Das Zeitmaß, die Ausdrucksweise,
die Wortwahl, der Lautbestand der Erzählung wird vom Geistesgehalte aus
bestimmt.
Dasselbe gilt von allen dichterischen Gestalten. Wenn H a m l e t durch die
Worte:
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt
so schön wie treffend sich selber kennzeichnet, dann ist dies der geistige Kern des
ganzen Dramas. Denn „Entschließung“ und „Gedanke“ sind rein geistige Wirk-
lichkeiten; und das darin liegende Widerspruchsvolle, man kann fast sagen
Zerrissene im Wesen Hamlets ist eine geistige Wirklichkeit. Es kommt am sinn-
lichen Geschehen zum Ausdrucke und bewährt klar die Vorrangsätze, welche wir
früher entwickelten.
Nehmen wir noch K l e i s t s „Prinzen von Homburg“ vor, so sehen wir als
geistigen Kern einen traumwandlerischen Menschen, welcher erst durch furchtbare
Schicksale geweckt wird, erst durch diese volle Klarheit und Wahrheit über sich
selbst gewinnt. Er sieht zuletzt sein früheres Leben wie einen Nebel hinter sich
liegen und sein neues in Liebe und Glück aufgehen. Eine innere Entwicklung, ein
rein geistiges Geschehen ist es, das den Kern der Dichtung bildet, sich aber frei-
lich erst am und im Sinnlichen gestalten und vollziehen kann.
Nun könnten der Spielmann, Hamlet und der Prinz von Hom-
burg auch gemalt oder in Stein gehauen werden, womit der Vor-
rang des Geistigen abermals für die Malerei und Bildnerei ans Licht
tritt. Und in der Baukunst braucht man nur an die verschiedenen
Stilformen christlicher Kirchen zu denken, um den geistigen Ur-
grund als das durch alle Gestaltungsebenen hindurch sich zur Gel-