Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8212 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8212 / 9133 Next Page
Page Background

152

Die reinen Naturgestalten der Kunst wie der Wirklichkeit kön-

nen aus eben diesem Grunde in sich selbst nicht beruhen.

Hiermit wiederholten wir im Grunde nur früher schon Gesagtes.

Doch scheint es uns nicht vergebens, da sich das Alte doch von neuer

Seite zeigte und von da aus zu erklären war.

VI.

Von der Zartheit des Mittels der

Gestalt

und dem Reichtume ihrer Gliederung

Goethe schrieb bekanntlich die „Iphigenie“ zuerst in Prosa,

S c h i l l e r begann den „Wallenstein“ ebenfalls zuerst in Prosa

(4. Oktober 1797), aber schon bald (4. November 1797) schrieb er

die Szenen in Jamben um. In einem Briefe an Goethe gibt er dar-

über lehrreichen Aufschluß (24. November 1797):

„Alles soll sich (durch die Umarbeitung in Verse) in dem Geschlechtsbegriff

des Poetischen vereinigen, und diesem Gesetz dient der Rhythmus sowohl zum

Repräsentanten als zum Werkzeug, da er alles unter seinem Gesetze begreift.

Er b i l d e t a u f d i e s e W e i s e d i e A t m o s p h ä r e f ü r d i e

p o e t i s c h e S c h ö p f u n g , das Gröbere bleibt zurück, nur das Geistige

kann von diesem dünnen Element getragen werden.“ (Von mir gesperrt. Othmar

Spann)

Es ist bemerkenswert, hier erstens den Vorrang des Zeitmaßes

(„Rhythmus“) ausgedrückt, zweitens aber die Gestalt überhaupt als

das „dünne Element“ bezeichnet zu sehen, welches „das Geistige

trägt“. Was ist aber dieses Geistige hier anderes als die Eingebung

in allen ihren Inhaltsteilen?

Daraus folgt für uns die wichtige Erkenntnis: Je z a r t e r d a s

M i t t e l d e r G e s t a l t u n d j e d u r c h g e b i l d e

t

e

r

d i e

G e s t a l t , u m s o f a ß b a r e r s i n d a u c h d i e f e i n e r e n

B e s t a n d t e i l e d e r E i n g e b u n g , w e l c h e i n i h r

d a r g e s t e l l t w e r d e n s o l l .

Daraus entnehmen wir wieder, wie eingebungsarm jene Kunst

sein muß, welche in ihren Gestaltungen auf das Rohe und immer

Rohere zurückgreift: statt des Verses auf die Prosa; statt der geho-

bensten und gewähltesten Prosa auf die Umgangssprache in ihren

gemeinsten Wendungen; statt der durchgebildetsten Zeichnung auf

die gewaltsame Umrißlinie; statt der zartesten und medialsten Farbe