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Die reinen Naturgestalten der Kunst wie der Wirklichkeit kön-
nen aus eben diesem Grunde in sich selbst nicht beruhen.
Hiermit wiederholten wir im Grunde nur früher schon Gesagtes.
Doch scheint es uns nicht vergebens, da sich das Alte doch von neuer
Seite zeigte und von da aus zu erklären war.
VI.
Von der Zartheit des Mittels der
Gestalt
und dem Reichtume ihrer Gliederung
Goethe schrieb bekanntlich die „Iphigenie“ zuerst in Prosa,
S c h i l l e r begann den „Wallenstein“ ebenfalls zuerst in Prosa
(4. Oktober 1797), aber schon bald (4. November 1797) schrieb er
die Szenen in Jamben um. In einem Briefe an Goethe gibt er dar-
über lehrreichen Aufschluß (24. November 1797):
„Alles soll sich (durch die Umarbeitung in Verse) in dem Geschlechtsbegriff
des Poetischen vereinigen, und diesem Gesetz dient der Rhythmus sowohl zum
Repräsentanten als zum Werkzeug, da er alles unter seinem Gesetze begreift.
Er b i l d e t a u f d i e s e W e i s e d i e A t m o s p h ä r e f ü r d i e
p o e t i s c h e S c h ö p f u n g , das Gröbere bleibt zurück, nur das Geistige
kann von diesem dünnen Element getragen werden.“ (Von mir gesperrt. Othmar
Spann)
Es ist bemerkenswert, hier erstens den Vorrang des Zeitmaßes
(„Rhythmus“) ausgedrückt, zweitens aber die Gestalt überhaupt als
das „dünne Element“ bezeichnet zu sehen, welches „das Geistige
trägt“. Was ist aber dieses Geistige hier anderes als die Eingebung
in allen ihren Inhaltsteilen?
Daraus folgt für uns die wichtige Erkenntnis: Je z a r t e r d a s
M i t t e l d e r G e s t a l t u n d j e d u r c h g e b i l d e
t
e
r
d i e
G e s t a l t , u m s o f a ß b a r e r s i n d a u c h d i e f e i n e r e n
B e s t a n d t e i l e d e r E i n g e b u n g , w e l c h e i n i h r
d a r g e s t e l l t w e r d e n s o l l .
Daraus entnehmen wir wieder, wie eingebungsarm jene Kunst
sein muß, welche in ihren Gestaltungen auf das Rohe und immer
Rohere zurückgreift: statt des Verses auf die Prosa; statt der geho-
bensten und gewähltesten Prosa auf die Umgangssprache in ihren
gemeinsten Wendungen; statt der durchgebildetsten Zeichnung auf
die gewaltsame Umrißlinie; statt der zartesten und medialsten Farbe