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tung Bringende zu erkennen. Denn dieselbe Kirche einmal gotisch,
einmal barock, verdankt die Verschiedenheit ihrer Gestaltung kei-
neswegs den sinnlichen Eigenschaften des Baustoffes oder sonstiger
Gestaltungsmittel; vielmehr ist es die geistige Urgestalt und Einge-
bung, welche allem zugrunde liegt, nämlich die m y s t i s c h e
Auffassung der Frömmigkeit in der Gotik, die w e l t f r e u d i g e
(wenngleich auch mystischer Grundlegung fähig) im Barock, was in
beiden Fällen die zeiträumlich-sinnlichen Gestaltungen hervor-
bringt und verwendet.
Daß auch die Zierformen (Ornamente) geschichtlich gesehen eine
geistige Grundlage haben, wurde oben dargelegt.
C. G i b t e s e i n e s t o f f l i c h - z e i t r ä u m l i c h e
G e s t a l t u n g , d i e a u f s i c h s e l b s t b e r u h t ?
Wir antworten: Nein!
Man könnte versucht sein, dem allem gegenüber aufrechtzuerhal-
ten, daß die Gestalt der Sinnenwelt auch für sich selbst bestehe und
schön sei.
Und in Wahrheit, ein Bergkristall ist an sich selbst betrachtet
schön, sogar ein Kreis, eine Pyramide und nun gar eine große
Naturerscheinung als Ganzes betrachtet, wie ein Sonnenaufgang mit
seinem Licht- und Farbenrausch, die ragenden Berge, das blaue Meer
des Südens.
Aus unseren früheren Überlegungen folgt aber, daß diese Schön-
heiten n i c h t r e i n i n s i c h s e l b s t beruhen! Nein, sie sind
Schönheiten ausschließlich dadurch, daß sie alle in irgendeinem
Sinne bereits als Fernentsprechung des menschlichen Geistes zu ver-
stehen sind; daß es demnach auch hier ein Abglanz des Geistes ist,
der das Gestaltete zum Schönen erhebt! Dieses eben ist es, was man
allgemein das S i n n b i l d l i c h e an der Natur nennt. Die rote
Farbe z. B. deutet auf Leben, Liebe und Kraft; das vermöchte die
blaue nimmer, sie deutet auf ein In-sich-Vertiefen, auf Mystisches,
Ruhig-Heiteres. Desgleichen auch der Kristall, dessen Licht und
Glanz eine innere Freudigkeit erregt, dessen Regelmäßigkeit inne-
rem Wohlgefüge, innerer Ordnung in uns selbst entspricht.