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scher Bildung; damit aber wieder an allen Voraussetzungen für
künstlerische Bildung.
Da wir nun schon bei dem absprechenden Urteile unserer Zeit über Schillers
angebliche Rhetorik und Verstiegenheit sind, so sei die Wahrheit hier unverhüllt
dieser Niedrigkeit schändlicher Kunstrichteranmaßung entgegengehalten: Nur noch
bei Shakespeare findet sich eine solche Fülle kriegerisch-politischen Daseins inner-
halb großer Weltverhältnisse eingebungsvoll erfaßt und dargestellt wie in Schillers
großen Trauerspielen; ob man nun an den Wallenstein oder die Jungfrau oder
den Tell oder den Demetrius denke! Sämtliche Neueren, Hebbel eingeschlossen,
haben nicht entfernt Ähnliches, nicht entfernt an Schillers Blick in die Tiefen der
Geschichte und der großen Weltverhältnisse sowie der Menschenschicksale Heran-
reichendes zu bieten.
In diesem Zusammenhange können wir auch G o e t h e (zugleich
für den Vorrang des Zeitmaßes) anführen, welcher zu Eckermann
(6. April 1829) sagt:
„Der Takt kommt aus der poetischen Stimmung wie unbewußt. Wollte man
darüber denken, wenn man ein Gedicht macht, man würde verrückt und brächte
nichts Gescheites zustande“
1
.
Noch deutlicher spricht er sich in den „Wanderjahren“ aus, wo
er Wilhelm sagen läßt:
.. aber innerlich scheint mir oft ein geheimer Genius etwas Rhythmisches
vorzuflüstern, so daß ich mich beim Wandern jedesmal im Takt bewege und
zugleich leise Töne zu vernehmen glaube, wodurch denn irgend ein Lied begleitet
wird, das sich mir auf die eine oder die andere Weise gefällig vergegenwärtigt“
2
.
Auch die folgende Äußerung B e e t h o v e n s beleuchtet die
Bedeutung der Zartheit des Mittels. Er geht von den engen Bezie-
hungen der Zeitgestalt der Worte (des Rhythmus) zur Musik aus
und schreibt in einem vielsagenden Briefe an Bettina von Arnim:
„Goethes Gedichte behaupten nicht allein durch den Inhalt, auch durch den
Rhythmus eine große Gewalt über mich; ich werde gestimmt und aufgeregt
zum Komponieren durch diese Sprache, die wie durch Geister zu höherer Ord-
nung sich aufbaut und das Geheimnis der Harmonie schon in sich trägt.“
Wie das „Sich-Aufbauen zu höherer Ordnung“ vom Rhythmus
zugleich zur Melodie, zur eigentlichen Wahrheit der Musik führt,
setzt Beethoven unmittelbar anschließend auseinander:
1
Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe, herausgegeben von Eduard
Castle, Bd 1, Teil 2, Leipzig 1914, S. 273.
2
Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke, Mit Einleitungen von Karl
Goedeke, Bd 18, Stuttgart 1885, S. 251.