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bunden ist, wie namentlich die Dramen mit geschichtlichen Stoffen
lehren.
Dies mögen nun einige weitere Beispiele bekräftigen, welche wir
unseren früheren noch hinzufügen.
D. B e i s p i e l e
1.
Die Jungfrau von Orleans
Wir beginnen mit Schillers „ J u n g f r a u v o n O r l é a n s“,
da wir sie mit der völlig anderen Behandlung durch Shakespeare
vergleichen können.
Shakespeare faßte die Jungfrau in seinem Jugendwerke „Hein-
rich VI.“ als Hexe auf und lieferte, durch einseitige, vom völki-
schen Haß bestimmte englische Berichte verführt, ein Zerrbild. Man
kann jedoch sagen, es lag auch eine Eingebung vom Wesen der
geschichtlichen „Jungfrau“ zugrunde; sie drang jedoch nicht tief
genug ein, schrieb alles einem bösen Zauber zu.
Anders Schiller. Er lernte zwar offenkundig von Shakespeare,
insofern er nämlich geschichtlich auseinanderfallende Ereignisse,
z. B. den Tod Talbots und die Versöhnung Burgunds mit Frank-
reich, die in Wahrheit nicht mehr in die Lebenszeit der Jungfrau
fielen, ihr Werk sein läßt, wodurch der Stoff verdichtet, aus seiner
geschichtlichen Zerstreuung gesammelt wird; aber seine Grundauf-
fassung ist eine völlig andere.
Schiller erfaßt in genialer Eingebung das einzig Mittehafte an
dem persönlichen wie auch geschichtlichen Geschehen, um das es sich
hier handelt: Die Jungfrau erhält den A u f t r a g v o n o b e n !
Damit ist ihre U r g e s t a l t bestimmt. Dieser Auftrag allein
ist es, welcher ihr eigenes Wesen wie ihr geschichtliches Wirken
bezeichnet. (Wir fügen hinzu: Selbst der Rationalist, der an solche
Dinge nicht glaubt, sie vielmehr für Ausgeburt einer krankhaften
Phantasie hält, muß sie als bewegende Kraft des ganzen Geschehens
anerkennen.)
Wie die Jungfrau durch die Stimme von oben innerlich umge-
wandelt und in jeder Faser ihres Wesens neu bestimmt wird, das ist