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schen Lyrik, sie alle strahlen jene unverletzliche Ruhe aus und be-

wahren sie sogar in der größten Bewegtheit des Stoffes. Aber auch

von Wolframs „Parzival“ und Dantes „Göttlicher Komödie“ über

die Blüte der italienischen, spanischen, englischen Poesie bis zur

deutschen Klassik und Romantik fehlt sie keinem großen Kunst-

werke.

Und in der Musik offenbaren uns alle großen Werke von Pale-

strina, Bach, Händel, Gluck, Mozart, Schubert (von Beethoven spre-

chen wir sogleich) jenes Reich der „stillen Größe“, welches uns als

Abglanz eines höheren Seins geheimnisvoll rührt.

Sogar in solchen Kunstwerken, deren Gegenstand die Unruhe,

das Gestürme und Getümmel selbst ist, auch in ihnen muß ein

letzter, sei es auch verborgener Grund jener höheren Ruhe alles

tragen! Das einleuchtendste Beispiel hierfür ist wohl die sogenannte

Prügelszene in den „Meistersingern“ Richard Wagners. Über das

grell genug geschilderte grobe Getümmel und die wüste Aufge-

schrecktheit legt sich durch eine meisterhafte F u g i e r u n g

gleichsam eine schützende Hülle kosmischer Ruhe.

So muß auch die Darstellung einer Schlacht im Gedicht oder

Gemälde außer der höchsten Bewegung noch jenes gleichsam einer

geheimnisvollen Macht entstammende In-sich-selbst-Beruhen, und

sei es noch so verdeckt, zur Geltung bringen und spüren lassen —

wie denn auch die höchste Aufregung beim Menschen in eine Art

von Ekstase übergeht, die stets eine Einfachheit, eine Ruhe anderer

Ebene in sich schließt! Der bis zur Besinnungslosigkeit Zornige z. B.

„kennt sich selbst nicht mehr“, er zeigt so in anderer Weise wieder

eine Einförmigkeit und Vereinfachung seines Bewußtseins, welche

ebenfalls eine Art von Ruhe ist.

Den einzigen Einwand, der hier möglich scheint, könnte man

vielleicht von Beethoven insofern herholen, als ja öfters in dessen

großen Symphonien und Sonaten ein fast übermenschliches Stürmen

und Ungewittern tobt und braust. Goethe sah darin bekanntlich

eine Gefahr der Selbstzerstörung; ähnlich wie sie sich (und noch

mehr) in Kleists „Penthesilea“ als wirklich zeigt. — An sich bestand

dieser Einwand Goethes bis zu einem gewissen Grad zu Recht. Da

aber Beethoven mit derselben Titanenkraft, mit der er die Stürme

heraufbeschwor, sie auch zu bannen verstand, erreichen seine Werke

zuletzt doch die höchste Rückverbundenheit und zählen daher den-