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Menschen steht; worauf schon die bekannten Worte S c h i l l e r s
hindeuten:
Leben atme die bildende Kunst, Geist ford’re vom Dichter,
Aber die Seele allein spricht nur Polyhymnia aus.
Im gleichen Sinne T i e c k s bekannte Verse:
Liebe denkt in süßen Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles, was sie will, verschönen.
Äußerlich ist diese Seelennähe der Musik nicht zu begreifen,
denn da erweisen sich die Töne einfach als Luftverdichtungen und
-Verdünnungen, als Schallwellen, Schwingungen, als mechanische
Bewegungen (wie z. B. die tönende Saite handgreiflich lehrt). Aber
die Erwägung, daß alles seelische wie leibliche Leben auf bestimmten
Zeitfolgen, auf „Periodizitäten“, wie überhaupt auf einer Art von
leiblichem Erzittern und Erbeben mitberuhe; diese auf die Zeit-
gestaltungen in der Musik wesentlich begründete Erwägung — der
hohe Ton z. B. ist auch ein solcher schnellerer Rhythmik! — allein
ist es, welche uns die Welt der Töne als eines Ausdrucksmittels der
Seele verständlich macht.
Die hohen Töne und die schnellen Zeitmaße drücken meist die
höchsten, übersinnlichen, heiteren und lebensfrohen Seelenstimmun-
gen aus; die tiefen Töne oft das Entgegengesetzte (mit Ausnahme
der Ekstasen selbst).
Dem entspricht es, daß die größten Meister der Tonkunst, welche
uns in der Weltgeschichte bekannt sind, Bach und Mozart, im all-
gemeinen die schnellsten Zeitmaße und die höchsten Töne haben!
Daß ferner der Trauermarsch langsame Zeitmaße und tiefe Töne,
der Freudenjubel und das höchste Freudengebet — so in Mozarts
„Krönungsmesse“ — dagegen die höchsten Töne und die schnell-
sten Zeitmaße haben.
Aus der vorzeitlichen und vorräumlichen Ebene stürzen die
Werdetaten der Dinge (hier angezeigt durch die Töne) mit über-
menschlicher Schnelligkeit herein; von welcher die Künstler umso
mehr erhaschen, je näher sie der Quelle der Dinge sind!
Von solchen Erwägungen aus tut sich uns ein Geheimnis auf: wie
innig unser geistiges und noch mehr unser seelisches Leben mit den