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Hier enden aber die Wege der Kunstphilosophie, jene der Natur-
philosophie beginnen!
Die Kunstphilosophie muß jedoch jedenfalls soweit kommen, die
E i g n u n g der äußeren Mittel zur Gestaltung eines Inneren, des
Eingebungsgehaltes, begreiflich zu machen. Dies ist möglich durch
den Nachweis der Einheit der sinnlichen Beschaffenheiten der stoff-
lichen Natur mit jenen des menschlichen Leibeslebens selbst!
Die nähere Überlegung ergibt hier folgende Sätze:
In uns selbst ist Licht (als Leuchten der Netzhaut);
in uns selbst ist Ton (als Tonerzeugung durch die Stimme);
in uns selbst ist geistige Zeit und Zeitgestalt (durch die Abfolge
geistigen Geschehens, das ist Rhythmus im geistigen Sinne);
in uns selbst ist naturhafte Zeit und Zeitgestalt (durch die Ab-
folge unseres leiblichen Geschehens, das ist Rhythmus im naturhaf-
ten Sinne);
in uns selbst ist durch Empfindung der Muskelspannungen und
damit verbundener Anstrengung Kraft und kraftisches Geschehen;
in uns selbst ist Tastbeschaffenheit (nicht nur die Empfindung
derselben, z. B. des Glatten, sondern auch die gegenständliche Be-
schaffenheit, welche die Tastempfindung anzeigt, z. B. Glätte der
eigenen Haut);
in uns selbst ist Wärme (als Empfindung wie als Empfundenes).
Alles zusammen genommen, heißt dies:
In uns s e l b s t s i n d u n d l e b e n d i e g e s a m t e n
s i n n l i c h e n B e s c h a f f e n h e i t e n d e r N a t u r , m i t
w e l c h e n d i e v e r s c h i e d e n e n K u n s t g a t t u n g e n
g e s t a l t e n .
Damit ist aber jene E i n h e i t des Menschen mit der Natur
verständlich gemacht, welche die unentbehrliche Voraussetzung da-
für bildet, daß die verschiedenen Künste mit naturhaften Mitteln
den inneren, geistigen Gehalt der Eingebung zur Darstellung brin-
gen.
Bedenkt man das alles, so klingt es zuletzt selbstverständlich.
Aber doch wurde es bisher in der Ästhetik nicht beachtet.