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Prächtig war die Nacht nun aufgegangen,

Hatte alle mütterlich umfangen,

Freund und Feind mit leisem Friedenskuß,

Und als wollt’ der Herr vom Himmel steigen,

Hört’ ich wieder durch das tiefe Schweigen

Rings der Wälder feierlichen Gruß

1

.

Auch Grübeleien nach Art der Schlußworte von Calderons Drama

„Das Leben ein Traum“ gehören noch in den Bereich des Mystisch-

Schönen (wenn auch romantischer Art). Calderon läßt dort Sigis-

mund sagen:

Denn ich habe eingesehen,

Daß das ganze Glück der Menschen

Schließlich wie ein Traum vorbeizieht.

Und das berühmte „Höhlengleichnis“ P l a t o n s , welches den

Weg der Seele in der mystischen Einigung schildert — was ist es

anderes als eine Dichtung, eine Gestaltung des eingebungsmäßig

(ekstatisch) Erlebten?

2

; eine Gestaltung, welche der Wahrheit treu

bleibt.

Wir beschließen diese unsere kleine Überschau mit einem Hinweis

auf die oben angeführten, von Rückert so berauschend schön

übertragenen Reime des mohammedanischen Mystikers D s c h e -

l a l e d d i n R u m i .

Gehen wir nun von jener Kunst, welche das Mystische selbst zum

Gegenstande nimmt, zur h o h e n K u n s t in ihrer klassischen

Durchgestaltung über, so finden wir auch in ihr das Mystisch-

Schöne. Ja wir behaupten geradezu: Der Kern und das Salz der

hohen Kunst ist das Mystische in ihr.

Suchen wir nach Beispielen, so begegnen wir allerdings wieder

nur den alten, in anderen Zusammenhängen bereits angezogenen;

aber wir können nun ihren mystischen Punkt aufzeigen.

Zuerst die D i c h t u n g . Homers Odysseus findet zuletzt schla-

fend seine Heimat wieder. Das wurde eines der bedeutendsten Sinn-

bilder der Dichtung aller Zeiten und ist im Grunde mystisch! — In

den alten Heldenliedern wird durch Hadesfahrten und Überwin-

1

Eichendorffs Werke, herausgegeben von Ludwig Krähe, Bd 1, Leipzig,

S. 127 (= Goldene Klassiker-Bibliothek).

2

Den Nachweis hierfür siehe in meinem Buch: Philosophenspiegel, 3. Aufl.,

Graz 1970, S. 218 ff. [= Othmar Spann Gesamtausgabe Bd 13].