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klarer Vernunft“ für die Seele frei machen soll (wie noch jüngst formuliert

wurde); nicht die Wegbahnung zum Rationalismus ist der Sinn dieser Katharsis;

vielmehr die innere Teilnahme an der heiligen Geschichte, die darin liegende

Erbauung und Heiligung - wie bei jedem Gottesdienste!

Aristoteles hatte keinen Grund, seine „Katharsis“ eigens als re-

ligiöse zu bezeichnen, da damals die Tragödie für jedermann ein

Gottesdienst war. Dies pflegt man leider zu wenig in der Geschichts-

schreibung festzuhalten. Zum Beispiel erscheint von da aus auch das

vielbemerkte „ T h e a t e r g e l d“, welches Perikies den Zu-

schauern bewilligte, in einem anderen Lichte: Es war nicht eine Art

von „panem et circenses“, vielmehr eine großzügige Förderung

gottesdienstlichen Lebens durch den großen Staatsmann.

b. B e i s p i e l e

Jeder Blick auf die alte Tragödie bestätigt das Gesagte. Das Ende

der „Orestie“ des Aischylos wird durch das Eingreifen der Göttin

Pallas Athene selbst geschlichtet. Diese tritt dort, wo die Pflicht der

Blutrache für den von der Mutter ermordeten Vater und die Schuld

des Muttermordes einen unlösbaren Zwiespalt schafft und die Rache-

göttinnen sich an seine Fersen heften, als Retterin des Orestes auf.

Sie besänftigt die Rachegöttinnen, die Erinnyen, durch Einsetzung

eines Kultes. Die Erinnyen werden dadurch in Eumeniden, das

heißt die Rachegöttinnen in Segensgöttinnen verwandelt. Dazu

kommt der große Hintergrund, den das Ganze durch die wieder-

holten Hinweisungen auf Zeus als den rettenden, erlösenden Gott

erhält (Zeus

σωτήρ

Zeus Retter, Erlöser; V 759, 757, 1045). — Das

Frohlockend-Schöne tritt demnach am Schluß dieser Tragödie deut-

lich hervor. Aristotelisch ausgedrückt können wir sagen: Durch Mit-

Leiden und Mit-Fürchten mit Orestes wird der Zuschauer, das ist

aber ganz Athen, der H e i l s t a t der Göttin Pallas teilhaftig; in

diesem Sinne gereinigt, geheiligt.

Nur scheinbar anders liegen die Dinge beim „König Ödipus“

des Sophokles. Allerdings, Ödipus endet in Verzweiflung, er blen-

det sich und zieht an Hand seiner Tochter Antigone ins Elend.

Indessen, keinesfalls war das das Ende einer Trilogie, das Ende des

Gottesdienstes! Das wahre Ende liegt vielmehr (ob auch zeitlich

später verfaßt) im „Ödipus auf Kolonos“, welches versöhnt mit den

großen Worten endet: „Fest steht dies alles und heilig“

(ίερός);

21 Spann, 19