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„Abendmahl“ dagegen (Santa Maria delle Grazie — Mailand), wel-

ches rechts und links vom Heilande gleichsam die heftige Unruhe

der Welt zeigt, in der Mitte aber ihn selbst in verklärter und ver-

klärender Ruhe, die den Untergang vorwegnimmt, läßt das Tragi-

sche (in dem oben erklärten Sinne) vorwalten.

Grünewalds gekreuzigter Christus des Kolmarer Altares zeigt

für sich selbst genommen allerdings nur das Düstere, Verlorene der

Welt, aber zusammen mit der dazugehörigen Auferstehung im

Lichte das Sieghaft-Frohlockende der Überwelt.

Nicht alle Gemälde können unter die Kategorien des Frohlok-

kenden und Tragischen fallen, entweder weil der Gegenstand dies

nicht zuließe oder weil ihr Gehalt in sich zu unbestimmt wäre.

Aber Leonardo sagte, daß „jener Gegenstand, der in sich die größte

Vielfältigkeit und den größten Inhalt birgt, der vortrefflichste sei“,

nämlich der Mensch

1

. Und damit ist die Fähigkeit einerseits, die

Grenze andererseits bezeichnet, die wir für die Anwendung unserer

Unterscheidungen in der Malerei aufstellen müssen. Wird vom Ma-

ler ein menschlich-heiliger und erzählender Stoff gewählt, den er

entsprechend zu behandeln versteht (wofür Dürers „Ritter, Tod und

Teufel“ ein Beispiel bildet), dann ähnelt seine Kunst der episch-

dramatischen Dichtung und unterliegt denselben Unterscheidungen

wie diese.

Der Einwand, in der Malerei begründeten Zeichnung und Farbe

je für sich das Schöne, das aber weder als Tragisches noch als Froh-

lockendes auftrete, wäre unrichtig, da ja in jedem Falle überdies,

selbst wenn jene Behauptung zuträfe, ein Gegenstand, ein Einge-

bungsinhalt niemals fehlen kann!

Was von der Malerei gilt, gilt sinngemäß auch von der B i l d -

n e r e i, die indessen im Gehalte des Darstellbaren noch ein wenig

beschränkter und unbeweglicher ist. In ihr bietet der Hermes des

Praxiteles ein wundervolles Beispiel des Frohlockend-Schönen. Sein

geheimnisvoll strahlendes, übermenschliches Antlitz macht den Be-

schauer jener himmlischen Kraft und Heiterkeit teilhaftig, welche

ihn über Irdisches hinausheben. (Erreicht wird dies, äußerlich gese-

hen, unter anderem durch jene H e r v o r w ö l b u n g d e r o b e -

r e n S t i r n h ä l f t e , welche die Griechen ihren Götterbildern

1

Leonardo da Vinci: Abhandlungen über die Malerei Nr. 27; angeführt

a. a. O., S. 384.