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und damit sogar für uns deutlich genug wieder das Gottesdienst-

liche des Dramas zum Ausdrucke bringt.

Nach allem Gesagten ist es klar, daß wir die alte Tragödie am

richtigsten darnach einteilen, wie das Z i e l d e r T e i l -

n a h m e a n d e r R e i n i g u n g u n d H e i l i g u n g e r -

r e i c h t w i r d : entweder sieghaft, frohlockend noch vor dem

letzten Ende; oder aber erst im Untergange des Helden. Damit ist

die schon oben angegebene Einteilung gerechtfertigt in: das Froh-

lockend-Schöne als die eine Abart des Tragischen; und das im

engeren Sinne Tragische oder Tragisch-Schöne, wo der Held erst im

Untergange über das Schicksal siegt, erlöst wird und in diesem

Sinne ebenfalls frohlockt.

Wir werfen nun noch einen kurzen Blick auf beide Arten, bleiben

aber noch im Bereiche des Dramas.

3.

Das Frohlockend-Schöne: das Schauspiel mit erlösendem

Ausgange ohne Untergang des Helden

Der vorstehenden Erklärung des Frohlockend-Schönen haben wir

nur noch einige allgemeine Hinweise hinzuzufügen.

Wesentlich ist zunächst, daß nunmehr die Göttererscheinung am

Schluß der Tragödien, „d e u s ex m a c h i n a “ genannt, in an-

derem Lichte als bisher gesehen werden muß. Der deus ex machina

(wörtlich: der Gott aus der Maschine) ist keineswegs, wie man

meint, ein Ausdruck dramatischer Unfähigkeit des Dichters, welcher

den geschürzten Knoten aus dem Inneren des Dramas nicht zu lösen

imstande wäre; so daß von außen her eine Kraft eingreifen müsse.

Vielmehr beweist das Auftreten des Gottes gerade das Gegenteil,

nämlich das gottesdienstliche Wesen der dramatischen Festfeier und

den in ihm liegenden Sinn: die Befreiung, Erlösung.

In dem Drama „Philoktet“ des Sophokles erscheint am Schlusse

Herakles in der Verrichtung des die Zwiespalte des Schicksals

Schlichtenden, indem er nämlich durch Verkündigung der Gesetze

eben dieses Schicksals die Gesinnung des Philoktet und des Neopto-

lemos ändert und versöhnt. — Bekanntlich findet sich die Beendi-

gung der Zwiespalte durch einen deus ex machina am öftesten bei

Euripides und am meisten in seinen spätesten, also reifsten Stücken.