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Nichtfesthalten, diesem Bruche sind Gehalt und Gestalt gleicherma-

ßen getroffen — denn beide sind auf dieser rein geistigen Ebene

noch nicht geschieden.

Das beweist auch der Kunstrichter überall dort, wo er dem be-

urteilten Kunstwerke „innere Widersprüche“ vorwirft; diese fallen

ja ebensowohl der Gestalt wie dem Gehalte, der Form wie dem

Inhalte zur Last. So lange das Schöne noch im Herzen des Künstlers

ruht, so lange noch alles unmittelbar von der Eingebung her be-

stimmt wird, gibt es eben noch keine vom Inhalt verhältnismäßig

trennbare „Form“ und keinen von der Form verhältnismäßig selb-

ständigen „Inhalt“ (wie Wein und Wasser gegen den Krug); alles

ist noch eins, die inhaltsbestimmte Gestalt und der gestaltete Inhalt!

Das Geistige des Schönen drückt sich selbst aus, Ausgedrücktes

und Ausdruck sind noch eins.

b . D i e m ö g l i c h e T r e n n u n g v o n G e h a l t u n d G e s t a l t a u f

d e n n a t u r h a f t e n E b e n e n

Wenn die naturhaften Gestaltungsebenen ihr Vorgeordnetes, das

Geistige vollkommen ausdrücken, besteht die Einheit von Gehalt

und Gestalt noch weiter. In Goethes „Iphigenie“ und Schillers „De-

metrius“ wird nichts an solcher Einheit vermißt!

Erst wenn sie ihr Vorgeordnetes nicht vollkommen zu gestalten

vermögen, erst dann treten Gehalt und Gestalt auseinander: Erst

dann tritt das Vorgeordnete, das Geistige dem Nachgeordneten,

dem Naturhaften, als G e h a l t verhältnismäßig selbständig gegen-

über! Die Form wird dann mehr und mehr — das heißt, je unvoll-

kommener, vom Gehalt abgetrennter sie ist — zur l e e r e n F o r m ;

Form und Inhalt nähern sich dann dem Beispiele des Kruges und

seiner wechselnden Füllung mit Wasser, Wein oder anderem. Auch

da ist die Trennung aber immer nur eine verhältnismäßige.

Der lange Streit, ob der Gehalt oder die Gestalt für das Schöne

maßgebend sei, ist damit geschlichtet:

(1) Im Falle der Unvollkommenheit der Gestalt treten erst Ge-

stalt und Gehalt auseinander und d a n n h a t d e r G e h a l t

d e n V o r r a n g ! Allein maßgebend ist er niemals, denn ganz

ohne Gestalt kann ein Kunstwerk nicht sein. Die Gestalt gehört not-

wendig zu ihrem Wesen. Stellt sie aber den Gehalt nicht vollkom-