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Geistesgehalte), keine strenge Motivierung der Leidenschaften (betrifft also wie-

der den geistigen Gehalt) ... indes die Kunst gerade darin besteht, dasjenige,

was in der Natur als unzusammenhängende Teile erscheint (also wieder das In-

haltliche!), zu verbinden als ein Ganzes (wir würden sagen, von der Eingebung

als Einheit zu erfassen)“. Das ist unmißverständlich!

Von P l a t e n, bekanntlich ein Meister der lyrischen Form, sagt Grillparzer

ebenda: „Es ist etwas Trockenes und Dürres in Platens Gedichten“ (also den

Gehalt betreffend). - Über R a i m u n d heißt es: Man sollte einsehen, „daß nicht

in der I d e e (gemeint ist der abstrakte Gedanke) die Aufgabe der Kunst liegt,

sondern in der B e l e b u n g der Idee; daß die Poesie Wesen (das heißt blut-

volle Menschen) und Anschauungen will, nicht abgeschattete Begriffe; daß end-

lich ein l e b e n d i g e r Zeisig mehr wert ist als ein ausgestopfter (will heißen,

abstrakt begriffener) Riesengeier“. Grillparzer bekennt sich also hiermit zu

Goethes Wort: „Bilde, Künstler, rede nicht.“ Auch wir rechnen ja zum Wesen des

Kunstwerkes, daß das in der Eingebung Empfangene nicht vergegenständlicht und

dadurch begrifflich g e w u ß t , sondern vielmehr gestaltet werde; was Grill-

parzer in diesem Zusammenhange als „belebt“ bezeichnet. Aber dieses zu Bil-

dende, zu Belebende, zu Gestaltende ist es eben, was den nachgeordneten Ebenen

im Falle der Unvollkommenheit als Gehalt gegenübertritt und den Kunstrichter

in jeder Hinsicht als das Maßgebende vor allem beschäftigt.

Endlich eine ebenso lehrreiche Äußerung über H a l m : „ . . . es fehlt ihm,

woran es Raupach fehlt: an Richtigkeit der Empfindung (also des Eingebungs-

gehaltes), der ersten und notwendigsten Eigenschaft eines Dichters.“ Grillparzer

erklärt sich dann darüber näher: „Die Richtigkeit der Empfindung besteht in der

Fähigkeit, sich durch starke Anschauung in die Gemütslage eines wahr Fühlenden

zu versetzen.“ Die „Anschauung“ ist also eine innere, das „Sich-Versetzen“ das-

selbe, beides geht auf die Eingebung. Und diese eben ist es, welche den nach-

geordneten Gestaltungen, der Zeit-, Raum- und Sinnesgestalt, im Falle der Un-

vollkommenheit als Gehalt entgegentritt.

Es scheint vielleicht manchmal, als ob Grillparzer Lust hätte, sich auf die Seite

der „Gestaltästhetiker“ zu stellen, wenn er nämlich das Ungestaltete rügen muß

(wie bei Fouqué); aber notgedrungen kommt er immer wieder auf den Gehalt

zurück und beurteilt von da aus vornehmlich das Kunstwerk. Sei es als „Moti-

vierung der Leidenschaften“, sei es als „Verbindung der Teile des Stoffes“ bei

mangelnder Einheit derselben, sei es als „Richtigkeit der Empfindung“, als „Sich-

Versetzen in einen wahr Fühlenden“ - stets ist es der Vorrang des geistigen

Gehaltes, den Grillparzer als Kunstrichter hier richtig und notgedrungen geltend

macht.

Der alte Streit, ob der Gehalt oder die Gestalt das Schöne be-

stimme, den zu schlichten die begrifflichen Mittel in der bisherigen

Ästhetik fehlten, ist nun endgültig beigelegt.

Man darf nur nicht ein einfaches Für und Wider erwarten. Viel-

mehr muß man erkennen, daß e r s t i m F a l l e d e r U n v o l l -

k o m m e n h e i t der Gestaltungen auf den naturhaften Gestal-

tungsebenen und bei Unterscheidung mehrerer dieser Ebenen,

welche von den vorgeordneten geistigen wohl zu trennen sind,

Gehalt und Gestalt überhaupt erst auseinandertreten; in welchem

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