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men dar, dann tritt sie als verhältnismäßig selbständig hervor und

überläßt dem Gehalte den Vorrang.

(2) Auch dieser Tatbestand erschöpft aber die Frage noch nicht.

Denn es g i b t n i c h t e i n e , s o n d e r n m e h r e r e n a -

t u r h a f t e G e s t a l t u n g s e b e n e n des Kunstwerkes. So-

wohl auf der Ebene der Zeit, wie des Raumes, wie der Sinnlichkeit

und Stofflichkeit kann der Widerspruch zum Geistesgehalte für sich

hervortreten, der Vorrang des Geistesgehaltes daher zur Geltung

kommen.

Man stelle sich z. B. vor, die Dramen Shakespeares wären nur in

verkümmernden, holprigen Übersetzungen zugänglich. Was wäre

die Folge? Man müßte ihren Wert allein in dem suchen, was man

den „Gedanken“ des Dramas zu nennen pflegt, also den Geistes-

gehalt. Dieser wäre kalt und auch verarmt, je mehr er der wesens-

gemäßen Gestaltung entbehrte.

Andererseits tritt durch die Verarmung der Gestalt, die unser

Beispiel unterstellt, der Vorrang des Gehaltes umso deutlicher

hervor.

Wie wenig diejenigen, welche das Schöne ausschließlich durch die Gestalt

gebildet sehen wollen, recht haben, läßt sich unseres Erachtens besonders deut-

lich an dem Beispiele des ehemaligen Wiener Ästhetikers R o b e r t Z i m m e r -

m a n n zeigen, welcher mit seinem Meister H e r b a r t ausschließlich die Form

das Schöne bilden läßt. Er gab einen Band „Studien und Kritiken zur Ästhetik“

heraus, in welchem diese Ansicht begründet werden soll. Was lesen wir aber

darin? Ausführliche Beurteilungen von Kunstwerken, in denen fast durchaus deren

G e i s t e s g e h a l t besprochen wird! Zimmermann versieht dort sein Kunst-

richteramt - als Gehaltsästhetiker! Besonders tritt das in seinen ausführlichen

Besprechungen der damals erschienenen „Nibelungen“ Hebbels hervor

1

.

Ähnliches wird man aber auch bei allen anderen Kunstrichtern sehen. Man

kann also an der wirklichen Ausübung des Kunstrichteramtes die Probe aufs

Exempel machen - der Geistesgehalt eines Kunstwerkes, das heißt, die Eingebung,

aufgefaßt durch die geistige Urgestalt samt dem aus ihr entwickelten Gliederbau

geistiger Entsprechungsgestalten, das wird von jedem Kunstrichter, der über-

haupt mitzählen kann, als das Wesentliche am Schönen und an der Kunst be-

handelt! Selbst die Besprecher unserer zeitgenössischen After- und Affenkunst

können sich dieser Notwendigkeit nicht völlig entziehen.

Auf solche Weise zeigt sich überall der Vorrang des Gehaltes vor der Gestalt.

Auf gut Glück schlage ich z. B. G r i l l p a r z e r s freimütige und auch sonst

so lehrreiche „Studien zur Weltliteratur“ nach und finde folgende Äußerung über

Fouqué: „Wie dieser Fouqué den Stoff (Gehalt) hinwirft und in seiner rohen

Gewalt wirken läßt als Stoff; ... da ist keine Verbindung der Teile (nämlich im

1

Robert Zimmermann: Studien und Kritiken zur Philosophie und Ästhetik,

Bd 2, Wien 1870, S. 149 ff. und öfter.