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Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,
Wenn über steilen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt
Und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.
Der blaue Raum, in ihm hoch oben die Lerche, der Adler, der
Kranich in der Heimkehr — das sind Bilder der Rückverbindung,
die „hinauf und vorwärts“ führt und dort dem Schönen seine letzte
Geborgenheit verleiht.
Die große Frage ist nun: Was geschieht, wenn die Rückverbin-
dung nicht ins Höchste hinaufführt; wenn eine Schwäche der Rück-
verbindung besteht?
Die Antwort ergibt sich aus dem Wesen der Sache von selbst:
Dann ist der Hauch des Überirdischen dahin, an seine Stelle tritt
etwas Kaltes, Weltlich-Befangenes, etwas im Vergleich zu der höhe-
ren Belebung des im Höchsten Rückverbundenen Lebloses, dasje-
nige, was man auch mit einer treffenden Wendung der deutschen
Sprache ein „Bild ohne Gnade“ nennt; ein solches, das wohl in
den äußeren Abmessungen vollendet scheint, aber der höheren
Belebung entbehrt, etwas Unerlöstes an sich hat — aus Mangel an
Rückverbundenheit.
Alle naturalistische Kunst, sofern sie sonst diesen Namen ver-
dienen mag, gehört hieher. Nehmen wir eine der höchsten Formen
derselben, die sogar noch zum Teil klassisch ist, als Beispiel, H e b -
b e l s Dramen, „Herodes und Mariamne“ oder „Gyges und sein
Ring“. Ihr Gegenstand ist seelenkundlich genommen fein erfaßt,
also der Eingebung nach auch wahr, die Hauptgestalten und Ent-
sprechungsgestalten mit ihren Handlungen sind folgerichtig durch-
geführt. Zeitmaß und Sprache auf großer Höhe, auch sonst viel
Kunst und Schönheit darin — nur eines fehlt, die Rückverbunden-
heit, die Geborgenheit alles Geschehens in höheren Sphären. Man
kann, von dem, was in diesen Dramen geschieht, nicht sagen, daß
es „hinauf und vorwärts“ dringe; das Ewige tritt nicht einmal
als Sehnsucht hervor (was natürlich nicht heißen will, daß darüber
geredet, philosophiert werden soll!).
Was ist die Folge? Alles Geschehen ist von weltlicher Kälte
durchfrostet und verklügelt; alles ist in die Nähe gerückt, wo die
Rückverbundenheit verlangt, es sei in unübersehbarer Ferne einem