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Wie in der Liebe ein unmittelbares Erfassen des Du, ein unmit-

telbares Teilnehmen am Du; so haben wir auch im Kerne jeder

Erkenntnis ein unmittelbares Erfassen, unmittelbares Durchdrin-

gen des geistartigen, intelligiblen Wesensgrundes des Erkannten vor

uns. Platon nannte diesen Grund der Dinge das

είδος

oder die

„Idee“, allgemeiner können wir ihn „intelligiblen Wesensgrund“

oder die „immaterielle Wurzel“ eines Naturdinges nennen.

Es wäre nicht schwer, nachzuweisen, daß alle wissenschaftlichen

Grunderkenntnisse, alle Entdeckungen, sogar die technischen Erfin-

dungen auf solchem unmittelbaren Innewerden des Wirkens und

Wesens ihres Gegenstandes, auf Eingebung beruhen; seien es nun

Naturdinge oder seien es Menschen, deren innere Artung, deren

Seele oder Charakter wie durch eine plötzliche „Erleuchtung“ dem

ersten Finder „aufging“.

Es ist nichts anderes als V e r g e g e n s t ä n d l i c h u n g , als

Objektivierung — Fichte nannte es „Selbstentgegensetzung“ — des

unmittelbar in der Erleuchtung oder Eingebung Erfaßten, wodurch

dieses zum Gewußten, Erkannten wird, wodurch also Erkenntnis,

W i s s e n entsteht!

Wird aber dasselbe unmittelbar in der Eingebung Erfaßte nicht

vergegenständlicht, sondern g e s t a l t e t , dann entsteht nicht

Wissen, sondern K u n s t .

Im Wissen entsteht W a h r h e i t , in der Kunst entsteht

S c h ö n h e i t .

Wissenschaft und Kunst, Wahrheit und Schönheit sind die Kron-

zeugen der unerschöpflichen Wunderwelt des Geistes!

Und die N a t u r , so wird man mit Recht fragen, wo sind da

die Wunder? Geht doch in ihr alles mit mathematischer Bestimmt-

heit, blinder Notwendigkeit, kausalmechanischer Eindeutigkeit zu!

Beruhen doch die ungeheuren Fortschritte der Naturwissenschaft in

den letzten zweihundert Jahren gerade darauf, daß man eine ein-

deutige, eine mathematische Bestimmtheit aller Naturvorgänge an-

nahm, eine blinde Notwendigkeit, welche Sonnen- und Mondes-

finsternisse und jeden Naturvorgang überhaupt mechanistisch oder

elektrodynamisch voraus und zurückzuberechnen erlaubt und zur

Aufstellung der durchwegs mathematischen Naturgesetze führte

(auch wenn sie das Ergebnis statistischer Mittelwerte sein sollen!).