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keit nur durch die Zeitgestalt zur Raumgestalt führt! In den Bil-

dungen der Natur kann die überräumliche Wesenheit nur im Wege

der Zeit zur Verräumlichung gelangen. Der innere Rhythmus dieser

Wesenheit ist es, der bei der Kristallbildung das räumliche Wachsen

und dadurch die Art der räumlichen Gestalt bestimmt. Die bildende

Kunst ist kein Werk der Natur, die sich durch die geistbezogene

Zeitgestalt hindurch verräumlicht, aber sie ist ein Werk des Geistes

selbst, ein Werk des Künstlers, der die Raumgestalt in der Zeit

schafft. Und dieses aus dem Lebens- und Gestaltungsrhythmus ent-

sprungene Schaffen in der Zeit entspricht der Zeitgestalt in der

Natur. Eine besondere Zeitgestalt kann es nur bei den zeitlich-

rhythmischen Künsten geben.

Mit der R a u m g e s t a l t ist die Gliederung der Gestaltungs-

ebenen noch nicht zu Ende. Eine Vollkonkretisierung geschieht erst

durch die s i n n l i c h - s t o f f l i c h e n

B e s c h a f f e n h e i -

t e n , durch Töne, Tonfarben, Klangfarben, Lichtfarben, Tast-

beschaffenheiten usw.

Die s i n n l i c h - s t o f f l i c h e n Beschaffenheiten sind nicht

nur in der Musik und in der bildenden Kunst von großer Bedeu-

tung, sondern stehen auch in der Literatur im Mittelpunkt vieler

Untersuchungen. Es sei daher erlaubt, hier abschließend auf die

bedeutsame Arbeit von Kurt May: Faust II. Teil, In der Sprachform

gedeutet

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, hinzuweisen, wo mit großem Erfolg der Versuch unter-

nommen wird, aus den rhythmischen und lautlichen Beschaffen-

heiten der Verse, also gleichsam aus ihrer musikalischen Gestalt,

den geistigen Gehalt des Dichtwerkes herauszuhören. Es wird z. B.

in eindrucksvoller Weise mit feinem Sprachgefühl einfach fest-

gestellt, wie Mephisto in manchen Monologen über seine Teufels-

natur hinauswächst. Er läßt gleichsam schon aus der Tongestalt der

Rede seinen ursprünglichen Kern, der noch ein Teil der heilen Welt

ist, erkennen. Mit diesem großartigen Blick in das Wesen des Bösen

sagt uns Goethe (ganz im Sinne der Lehre Spanns) zugleich, daß es

nur durch den noch in ihm verbliebenen guten Rest überhaupt leben

kann, so daß also auch Mephisto zu einem Künder ewiger Wahr-

heiten werden kann! Nicht nur der geistige Gehalt der Worte, son-

dern allein schon die ihm entsprechenden sinnlich-stofflichen Be-

Kurt May: Faust IL Teil, In der Sprachform gedeutet, München 1962.