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Die Zeit nämlich, in der wir leben, das muß jeder sich klar machen,
ist seit langem skeptisch. Sie glaubt an keine Übernatur. Sie hat
dagegen eine andere, methodologisch wohldurchdachte Naturansicht
ausgebildet, eben die mechanistische (im Grunde materialistische).
Wäre der Mensch nur ein Naturwesen, dann wäre Unsterblichkeit
unmöglich. Diese Ansicht ist zwar, wie ich dir beweisen werde,
nicht richtig, aber gewiß in sich geschlossen.
Der Pantheismus dagegen ist nicht in sich geschlossen, er ist,
um es mit einem Worte zu sagen, eine nicht zu Ende gedachte Welt-
ansicht. Ich muß behaupten, er sei ein Mixtum compositum. Er
nimmt einerseits die materialistische Skepsis der Zeit an; anderer-
seits erklärt er trotzdem, die Natur seelenhaft, ja göttlich aufzufassen.
Sein Fehler ist demnach: im entscheidenden Augenblicke das Seelen-
hafte in der Natur selbst wieder nach stofflicher Art zu denken,
das Göttliche zu verweltlichen. Infolgedessen wird ihm die Seele
ein Tropfen, der im Ozean verschwindet, ein Funken, der im Weiten
verweht. Daß die Seele persönlich, individuell auftrete, ist ihm
lediglich durch die Verbindung der unpersönlichen Allseele oder
unpersönlichen Gottheit mit der Materie bedingt, daher ist ihm nur
das Allgemein-Seelische ewig. Die „Individuation” ist ihm nur eine
vorübergehende Erscheinung, wahrhaft wirklich ist ihm allein der
unpersönliche Weltgeist.
Der Zerstreuer:
Gibt es nicht mancherlei Abarten des Pantheismus?
Der Sammler:
Allerdings, aber nur einen letzten Grundgedanken in ihm, nämlich
daß eine unpersönliche Allseele, ein Unpersönlich-Göttliches in der
Welt enthalten, ihr immanent sei.
Der Zerstreuer:
Zum Beispiel bei...?
Der Sammler:
... Spinoza, soferne seine „absolute Substanz” (das heißt Gott)
durch ihre „Attribute” und „Modi” die Welt bildet. Die Welter-
scheinungen, die Dinge, sind ihm sämtlich ein Teil Gottes, sind
„Modi” von dessen Attributen. Die „Substanz” geht hier in den
Attributen unter, ist ihnen immanent.
Der Zerstreuer:
Und wo, meinst du, läge hier der Fehler?