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Hier ist der Punkt, wo nicht mehr Nüchternheit und Tatsachen-
treue, sondern, halte mir meine Offenheit zugute, Oberflächlichkeit
das naturwissenschaftliche Denken leitet, sobald es nämlich auf
geisteswissenschaftliches Gebiet Übertritt. Und die Träger solcher
Oberflächlichkeiten werden dadurch geradezu zu Unholden der
Geistesgeschichte.
Gerade das Gegenteil von äußerer Bestimmtheit, von „Umsetzung”,
von Gesetztwerden als „Resultante” aus „Antezedentien” findet im
geistigen Geschehen statt. Wenn die Physik das Prinzip der Träg-
hei t aufstellt, wonach kein stofflicher Zustand oder physikalisch-
mathematischer Wert sich ohne Änderung äußerer Bedingungen,
„Antezedentien”, änderte; so muß die wahre Seelenkenntnis umge-
kehrt das Prinzip der spontanen Reg samkei t, der Selbsthervor-
bringung oder Selbstsetzung als Urgrund der Seele erkennen: wonach
sich die Seele auch ohne Änderung der äußeren Bedingungen än-
dert — erneuert —, weil jeder Zustand und jede Änderung nur durch
fortwährende Selbsthervorbringung besteht! Das leugnet zwar
der am Räumlich-Stofflichen herangebildete naturwissenschaftliche
Mensch, aber lerne es ganz begreifen, und du bist auf dem andern
Ufer!
Der Zerstreuer:
Das will viel sagen. Ich bin aufgeschreckt, aber noch nicht über-
zeugt. Erkläre dich näher.
Der Sammler:
Liebe ist kein Energieumsatz, sondern hat einen schöpferischen
Akt zum Grunde. Denken ist kein Energieumsatz, sondern hat
Selbstvergegenständlichung zu seinem Wesen — aus Selbstsetzung.
Alle Tätigkeit, alles Geschehen im Geiste leitet sich aus sich selbst
her. Es gibt kein Geschehen, keine Regung des Geistes, die nicht
seine eigene Tat wäre. Gewiß, auch sie hat Vorbedingungen, so-
wohl geistige wie leibliche, sie ist aber nicht deren bloße Umformung,
nicht die Wirkung von Antezedentien, wie in der Physik, sondern
Neu-Hervorbringung.
Anders gesagt: Alles Geistige ist primär spontan, die Vorbedin-
gungen oder Antezedentien sind nur sekundär.
„Da s I ch se tz t si ch se lbs t”, sagte Fichte mit unsterblicher
Klarheit. Jedes geistige Tun entspringt aus eigener Quelle. Es tut
der Selbstsetzung keinen Abbruch, daß sie nur auf Grund von
Schöpfertum,
das Wesen des
Geistes