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Das Gedächt-
nis bezeugt
die überzeit-
liche Einheit
des Ich
wie schon die Gezweiung, schließt individualistische Selbstbegründet-
heit, „Aseität” des Ich, aus.
Der Zerstreuer:
Nun lenkst du in noch dunklere Wege ein?
Der Sammler:
Und doch sind sie sonnenhell.
Wo wären im Geiste überhaupt auch nur Ansätze für Größen-
bestimmungen, geschweige denn für Gleichungen? Das gelang sogar
bei der Sinnesempfindung nur für ihre physiologische und physi-
kalische Seite, von den reinen Geistestaten, wie Lieben, Denken,
Gestalten, Wollen, gar nicht zu reden. Sind doch in der Seelen-
lehre und Gesellschaftslehre nach langen, hartnäckigen Bemühungen
mehrerer Geschlechter alle Versuche der Quantifizierung, von Fech-
ner bis zu Wilhelm Wundt und Pareto, endgültig mißlungen.
Der Zerstreuer:
Ich muß es zugeben, eine hundertjährige Arbeit war hier nur
von geringstem Erfolge.
Dein Satz lautet also, daß nicht das „Hochkomplexe”, sondern
das Neuhervorbringende, Schöpferische des Geistes ihn von der
Natur unterscheide. Und dieses Neuhervorbringende, Sichselbstent-
springende wäre dann die Grundlage von Selbstvergegenständlichung,
Selbstverinnerlichung, Ichheit, Persönlichkeit ?
Der Sammler:
Nur so ist der Geist zu verstehen. Als z. B. den großen Natur-
forschern ihre neuen Gesetze aufblitzten, formte ihr Geist nicht
bloß am alten Material, sondern brachte Neues, nie Dagewesenes
an den Tag. Woher kam da s? Aus dem Geiste selbst, aus der Schöp-
fertat des Geistes. Für sie waren die alten Vorstellungsmassen und gar
die leibliche Gesundheit nur Vorbedingungen, keine Bestandteile.
Denke ferner an das wunderbare Zeugnis des Gedächtnisses! In
aller Erinnerung, z. B. an unsere gemeinsamen Jugendstudien, wird
die Fähigkeit des Geistes, Vergangenes gegenwärtig zu machen,
offenbar. Darin liegt aber etwas Zeitüberwindendes — also Über-
zei tli che s, das unserem Geiste eigen ist!
Und nun vollends die Einhei t aller Erinnerungen, von der Kind-
heit bis ins Alter, das, was man im engeren Sinne Gedächtnis nennen
muß. In dieser Einheit liegt die Macht des Geistes, nicht nur über-
haupt in sich zurückzugehen — nämlich durch Selbstbewußtsein,