88
Uns fehlt das
übersinnlich
geprägte Bild
des Lebens
Der Zerstreuer:
Kann die Unsterblichkeit nicht aus dem Gottesglauben gefolgert
werden ?
Der Sammler:
Wenn nicht gefolgert, so doch postuliert, nach dem Worte „Gott
i s t t reu” .
Kehren wir zum Vergleiche der alten und neuen Welt zurück.
Die ausschließlich mengenhaft-mathematische Auffassung der Na-
tur lag dem alten Menschen, dem die Natur mit Göttern erfüllt
war, ferne. Sie ist ein spätes Erzeugnis und zuletzt —Materialismus.
Eine andere mengenhafte Auffassung des Geschehens als eine ma-
terialistische kann es im Grunde nicht geben.
Der Zerstreuer:
Dies ist ja auch die Meinung des Positivismus, Agnostizismus und
ähnlicher, im Ver fahren zwar verfeinerter und gereinigter Lehr-
meinungen, die aber in den Voraussetzungen und im Ergebnis mit
den Materialisten Zusammentreffen.
Der Sammler:
Wenn du zustimmst, daß sich der Gedanke reiner Veränderlich-
keit einzig auf die äußerliche Beobachtung am Stofflichen zurück-
führe, so mußt du auch den Schluß, der sich uns schon früher auf-
drängte, bestätigen, daß die mechanistische Naturansicht des mo-
dernen Menschen auf einer Schwächung der inneren Geisteser-
fahrung beruhe, welcher das wahre Wesen des Geistes verblaßte.
Der Zerstreuer:
Was uns fehlt, ist das übersinnlich geprägte Bild des Lebens.
Aber wie könnte es unserer Zeit gegeben werden?
Der Sammler:
Nur indem der Geist als das in sich selbst gründende, waltende,
naturüberlegene Prinzip erkannt, erlebt und dadurch das Transzen-
dente als Wurzelgrund unseres Lebens offenbar wird.
Das klingt gar abstrakt, aber die großen Zeiten der Geistesge-
schichte waren ausschließlich durch Selbstsicherheit des Geistes ge-
kennzeichnet. Die Überzeugung der großen Männer sowohl wie die
allgemeine Überzeugung jener Zeiten schwelgte geradezu in der
Gewißheit der Selbstmächtigkeit alles Geistigen gegenüber dem Ma-
teriellen. So schon in den altindischen Upanischaden.