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Wenn dein Einwand nur sagen will: wir dürfen nicht künstlich

idealisieren, wir müssen die Tatsache des getrübten und auch

des böse gewordenen Geistes anerkennen; so stimme ich dir von

ganzem Herzen zu. Künstliches Idealisieren ist mir ein Greuel.

Wenn ich behaupte, der menschliche Geist sei Übernaturhaft, so

kommt das nicht von falschem Idealisieren, sondern vielmehr davon,

daß ich darauf bestehe, den Begriff des reinen Wesens des Geistes

zu entwerfen und zu Ende zu denken. Es hat sich ja schon gezeigt:

Wer den Geist erkennen will, hat sich nicht an das Mißgestaltete,

sondern an das Reingestaltete, Lautere zu halten. Darum fanden

wir im Blicke auf die größten Menschen das Schöpfertum des Geistes

am klarsten erkennbar.

Der Mensch zeigt sehr verschiedene Grade der empirischen Reali-

tät des Geistes — das ist der Kern deines Einwandes.

Der Zerstreuer:

Das hat Gewicht! Du überzeugst mich ganz!

Die Erbärmlichkeit des Menschen hebt sich auf dem Hintergrunde

seiner Größe ab.

Es ist wahr, der Hinweis auf den schwachen und kranken Geist

schließt, wie du sagst, nichts anderes als verschiedene empirische

Realitätsgrade, Darstellungsgrade des Geistes in sich, die von den

verschiedenen Vorbedingungen in seiner Naturgrundlage abhängen,

aber auch von der freien, inneren Entscheidung des Geistes.

Welche erlösende Einsicht, daß sogar das unterdrückte und fast

unkenntliche Schöpfertum, welches der getrübte Mensch noch er-

kennen läßt, vom Geiste zeuge! Ich bekenne, daß gerade auf diesem

Boden die physikalische Betrachtungsweise geschlagen wird.

Und doch weiß ich noch nicht, wie ich ganz zum Ziele komme!

Denn gehen wir vom gebrechlichen Menschen zum großen, schaffens-

mächtigen über, dann schneiden uns Schillers Worte tief ins Herz

hinein:

„Siehe, da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,

Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.”

Der Sammler:

Und warum der Schmerz? Weil es wesenswidrig ist, daß das

Vollkommene vergehe.

Der Zerstreuer:

Wohl — und doch vergeht es.