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deutlichsten zeigt — sie stoßen abermals jedes irgendwie mechani-
stische und bloß physiologische Bild des Bewußtseins um. Sie zei-
gen uns dagegen eine teilweise Befreiung des Geistes von seiner
grobstofflichen Leibesgrundlage.
Der Zerstreuer:
Du hast recht! Jene Zustände z. B. bloß mit dem Worte „das
Unbewußte” abzutun, geht nicht an. Denn es handelt sich ja nicht
darum, etwa nur ein „Fortwirken” einer „unbewußt gewordenen
Vorstellung” oder „dumpfe Triebe” und dergleichen zu erklären
(wofür sich zur Not noch stoffliche, mechanistische Bilder finden
ließen), sondern um Zustände von anderer Art, Leistung höherer
Ordnung!
Der Sammler:
Das liegt am Tage. Jenes angeblich „Unbewußte” ist eher ein
Über-Bewußtes zu nennen, ist ein Schaffen aus tiefem Grunde,
aus Rückverbundenheit in Höherem, nicht aber ein Vergessenes aus
ehemals Gewußtem, noch ein Noch-nicht-Gewußtes aus physiolo-
gischen Trieben, wie es die armselige alte Psychologie allein zu ver-
stehen vermochte, am allerwenigsten eine bloße Naturkraft!
Es gibt noch einen weiteren empirischen Hinweis auf die Unsterb-
lichkeit, der aber den meisten Menschen verschlossen ist. Weil du
mein Freund bist, will ich ihn dir sagen, doch bewahre ihn als ein
Geheimnis: Es ist die in gewissen Sinnesempfindungen liegende si-
chere Erfahrung, daß der Mensch nicht nur durch Identität mit
sich selbst — durch Selbstsein, Selbstgleichheit — bestimmt sei, son-
dern zugleich durch Selbstfremdheit, durch Sein im andern, durch
Der-andere-Sein.
Erfahrungen
an den Gren-
zen der Sin-
nesempfin-
dung
Diese Erfahrung haben wir in allem, was an der Grenze des sinn-
lichen Empfindens liegt und gleichsam in einen geheimen, süßen
Rausch übergeht: in der Liebe ist der Mensch er selbst und ebenso
auch nicht, er verspürt sein Sein zugleich sinnlich in der Gattung;
im Tiefschlafe dunkler Stunden, aus dem wir, wie aus einem un-
ergründlichen Brunnen steigend, aufwachen, glauben wir uns gleich-
sam an der Quelle der Dinge; der große Schmerz, der an der Wurzel
rüttelt, wie bei empfangenen Wunden oder, seelisch, bei großer
Traurigkeit, welche die Seele wie versinken lassen möchte in einen
süßen, unbekannten Abgrund; sogar das Essen, so das Verkosten
des Süßen auf der Zunge, kann dieses Hinschmelzen und doch